Studiomanager: „Nein, ich bitte Sie, Mister … darf ich Sie „Maestro“ nennen? Ich bitte Sie, Maestro, das war doch nur eine Idee, eine dumme Idee, mehr nicht. Natürlich muss die Szene mit der Gruppenvergewaltigung drin bleiben.“
Steven Spielberg: „Und wir behandeln diese Szene wieder ganz oberflächlich, wie nebenbei. Verrutschtes Kleid, wütende Frau, das war’s. Alles wie 1961. Wir tun so, als wäre gar nichts dabei und übergehen das Ganze schnell wieder.“
Studiomanager: „Genau! So bekommen wir auch die FSK 12-Freigabe. Genial! Wir machen also alles so wie 1961. Der gleiche Rassismus. Die gleichen Stereotypen und Klischees. Die gleiche Oberflächlichkeit mit der schwierige soziale Themen als Hintergrund für eine ziemlich banale Liebesgeschichte verschwendet werden. Und wir sorgen auch dafür, dass alles so aussieht wie damals.“
Steven Spielberg: „Na endlich haben sie verstanden.“
Studiomanager: „Ich frage nur ungern. Aber was meinen Sie, was wird das Ganze kosten?“
Steven Spielberg: „Was weiß denn ich? Irgendeine neunstellige Summe vermutlich.“
Studiomanager: „Wunderbar! Dann lasse ich gleich mal die Verträge aufsetzen. Champagner gefällig?“
Sollte es wirklich so abgelaufen sein? Denn auch wenn diese Neuverfilmung, wie jeder von Spielbergs Filmen, extrem hochwertig produziert wurde, kann man doch nicht ignorieren, wie furchtbar altmodisch dieser Film wirkt. Und der Film wirkt nicht auf eine gute Art und Weise altmodisch. Nicht wie „Der Mazda MX5 mit seinem Hinterradantrieb und seinem drehfreudigen Motor ist ein herrlich altmodischer Roadster.“ Sondern auf eine unangenehme Art altmodisch, so wie „Ja, ich weiß, Onkel Erwin erzählt ständig von seinen Abenteuern im Krieg. Und er mag keine Ausländer. Und auch nicht, wenn Frauen ihre Meinung sagen. Er ist eben altmodisch.“
I feel pretty
Und ja, ich wiederhole es gerne, der Film ist extrem hochwertig produziert. Aber eine hochwertige Produktion alleine macht noch keinen guten Film. Vielleicht hat Spielberg seine beste Zeit als Filmemacher hinter sich? Vielleicht hat er sein Gefühl dafür verloren, was zeitgemäß ist? Der Mann ist mittlerweile seit über fünf Jahrzehnten im Geschäft.
Kleiner Test für unsere Leser*innen: Bitte mal ganz schnell drei herausragende Filme von Steven Spielberg nennen. 1, 2 und 3. Ja, da kann man nur zustimmen. Und jetzt das gleiche nochmal, aber diesmal bitte ganz schnell drei herausragende Filme von Steven Spielberg nennen, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind. Es geht los …. Ja? Ähm, … ich meinte eigentlich „ganz schnell“. Aber ok, ich warte. Mhm … kommt noch was? Naja, … „Catch me if you can“ war sicher nicht schlecht, aber „herausragend“? Ich weiß nicht. „Lincoln“? Wie viele Leute haben sich den Film denn ein zweites Mal angesehen? Oder überhaupt ein erstes Mal? Wie bitte? „Ready Player One“? Ich will mal so tun, als hätte ich das nicht gehört.
Aber Spielberg hat vielleicht nicht einfach nur den Kontakt zum Publikum des 21. Jahrhunderts verloren. Der Erfinder des modernen Blockbusters, der uns während der ersten 25 Jahre seiner Karriere regelmäßig mit Filmen überrascht hat, wie sie vorher noch nie im Kino zu sehen waren, hat hier einen enormen Aufwand betrieben um einen Film ins Kino zu bringen, wie wir ihn vor sechzig Jahren bereits gesehen haben. Wozu soll das gut sein? Will Spielberg beweisen, dass er ein besserer Regisseur ist als Robert Wise?
Nochmal, der Film ist wirklich gut gemacht. Aber er ist leider nichts Besonderes. Spielberg hat es mit modernster Technik geschafft, den Film so aussehen zu lassen, als wäre er vor mehr als sechzig Jahren an Originalschauplätzen gedreht worden. Daher sieht der Film sehr gut aus. Aber der Film sieht nicht fantastisch aus. Die Musik ist hochwertig aufgenommen und klingt wirklich gut. Aber sie klingt nicht großartig. Die Tanzszenen sind sehr gut choreografiert. Aber sie reißen kaum jemanden vom Hocker. Und alles, aber auch wirklich alles wirkt furchtbar altmodisch und leider auch künstlich.
Die Gangmitglieder sehen alle aus wie Tänzer. Jede der beiden Jugendgangs besteht aus drahtigen Kerlen Ende Zwanzig, die fast alle gleich groß sind. Auf den Straßen stehen nur hochglanzpolierte Straßenkreuzer. Und jedes Abbruchhaus bietet einen fantastischen Blick auf den Hudson River. Das sieht alles wirklich sehr schön aus. Aber es wirkt eben leider alles sehr künstlich und wird auch recht schnell langweilig.
A boy like that
Auch die Besetzung ist wirklich gut. Rachel Zegler ist als Maria fast ebenso bezaubernd wie es Natalie Wood 1961 war. Und im Gegensatz zu Natalie Wood, deren Stimme damals in den Gesangsnummern durch die von Marni Nixon ersetzt wurde, singt Rachel Zegler selbst. Sie hat die Maria bereits auf der Musicalbühne dargestellt und weiß genau was sie tut. Aber in Natalie Wood konnte man sich damals verlieben. Rachel Zeglers Darstellung wirkt in entscheidenden Szenen leider etwas zu professionell, etwas zu glatt.
Ansel Elgort („Baby Driver“) spielt Tony mit vollem Körpereinsatz. Zusammen mit seiner Partnerin bilden die beiden ein wirklich reizendes Paar. Aber Elgort kann aus seiner klischeehaften Rolle nicht mehr machen als da ist und das ist eben nicht viel. Wenn er sich also innerhalb von Sekunden in Marie verliebt und später auch prompt entschlossen ist, sich umbringen zu lassen, wirkt das weniger romantisch als eher hysterisch.
Der noch recht unbekannte Mike Faist spielt Riff, den Anführer der Jets, als Soziopathen. Dafür spielt der ebenso unbekannte David Alvarez seinen Gegenspieler Bernardo als rassistisches Klischee.
Sehr klischeehaft ist auch die Rolle der Anita ausgefallen. Aber ihre Darstellerin Ariana DeBose („Hamilton“) macht das Beste daraus. Und wenn ich „das Beste“ schreibe, meine ich das Beste am ganzen Film. Mit Ihrer unbändigen Energie macht diese erfahrene Musical-Darstellerin aus „America“ die einzige Musiknummer des Films ist, die das Publikum wirklich mitreißen wird.
Alle Darsteller*innen singen sehr gut, bis auf Corey Stoll („Ant-Man“, „The Strain“). Der singt gar nicht und seine Rolle als Polizeibeamter hätte man nicht nur deshalb ersatzlos streichen können.
Die fast Neunzigjährige Rita Moreno ist eine Legende. Sie stand mit dreizehn Jahren zum ersten Mal auf der Bühne. Vor sechzig Jahren war sie nicht nur die einzige echte Latina auf der Besetzungsliste des Originals. Sie hat für ihre Leistung auch einen Oscar für die beste Nebenrolle verliehen bekommen.
Das war damals übrigens der erste Oscar überhaupt, der an eine Künstlerin lateinamerikanischer Abstammung verliehen wurde. Im Verlauf ihrer Karriere wurde sie auch noch mit dem Golden Globe, dem Grammy, dem Tony und dem Emmy ausgezeichnet. Sie hat Ehrendoktortitel, den Peabody-Award und die Presidential Medal of Freedom verliehen bekommen.
Wenn Rita Moreno nun in der Neuverfilmung mitspielt und sogar ein Lied singt, das im Original gar nicht von ihrer Figur gesungen wurde, ist das einfach nett. Und daher ist es auch fast gleichgültig, ob eine Frau von Neunzig Jahren doppelt so große junge Männer zurückhalten kann, ob das Foto in ihrem Laden nicht anachronistisch ist oder ob ihr Auftritt im Film überhaupt Sinn ergibt.