***Deadpool***
Keiner ist vor seinen Sprüchen sicher. Egal ob beim Aufriß in der Bar, im Blutrausch einer Racheaktion oder selbstironisch direkt in die Kamera: Wade Wilson alias Deadpool nutzt seinen triefenden Sarkasmus meist als letzte Waffe – vor allem wenn der Chaot die realen Pistolen mal wieder im Taxi liegen ließ.
Lang, lang ist die Liste der Marvel-Helden. Alle Anzugfarben sind mittlerweile verwurstet worden und noch nur echte Nerds überblicken die verworrenen Biografien und wechselnden Fähigkeiten ihrer Favoriten. Als Sidekick wurde Deadpool schon in „X-Men Origins: Wolverine“ eingeführt, im achten Teil der X-Men Reihe folgt nun also das Upgrade von Wade Wilson als Hauptfigur des Films.
Mit „Deadpool“ liefert Marvel wie üblich eine Comic-Verfilmung in Reinkultur, aber auch gleich einen guten Grund warum man sein Geld für noch einen weiteren Helden an der Kinokasse lassen sollte: Denn Deadpool ist anders und ragt selbst aus der Reihe der jüngsten (Anti)-Helden heraus. Ryan Reynolds verleiht seinem Charakter eine entspannte Flappsigkeit, die einerseits das Genre ironisch aufspießt, in den Folterkellern der zwielichtigen Waffenfirma jedoch auch eine reale Gefährlichkeit bewahrt. Leider schwächelt der Film in den Kampfszenen, die auch durch massive Verstärkung der „X-Men“ Colossus und seines fast unaussprechlichen Lehrmädchens nicht spannender werden.
Wortwitz mit direktem Blick in die Kamera
In den Siebzigern erreichte die Krimiserie „Die Zwei“ mit Roger Moore und Tony Curtis hierzulande einen gewissen Kultstatus, vor allem weil die deutsche Synchronisation das Original versilberte. Kleine Attacken auf den Sender waren da genauso möglich wie Kommentare auf die Synchronisation selber.
Deadpool beackert humortechnisch 45 Jahre später ähnliche Felder, respektlose Kommentare auf Kollegen („Oje. Ich hab geträumt, ich hätte Liam Neesons Tochter entführt“) sind genauso möglich wie selbstironische Aussteiger („Vielleicht bringt das die Handlung ja weiter“). Ungewöhnlichster Schachzug ist jedoch das Niederreißen der vierten Wand zum Publikum, im Comic durch andersfarbige Sprechblasen markiert. Direkt in die Kamera sprechend darf Ryan Reynolds auch mal sich selber durch den Kakao ziehen oder die Kamera wegschieben, um die Zuschauer vor dem Anblick unnötiger Härte zu beschützen.
Überschaubare Story mit erotischer Triebfeder
Deadpool stieß recht spät zum Marvel-Kosmos, erst Anfang der Neunziger tauchte der Ex-Elitekämpfer zum ersten Mal im Comic auf. Im Film vermischt Regisseur Tim Miller geschickt verschiedene Zeitebenen. Dadurch kann Deadpool mit einem Sprung durchs Autoschiebedach des Bösewichtes gleich in medias res krachen, ohne dem Zuschauer nervtötende Erklärungen über seine Herkunft abzuverlangen.
Deshalb hier in aller Kürze was auch der Trailer nicht verschweigt: Wade Wilson, ein gescheiterter Special-Forces Kämpfer, schlägt sich mit bezahlten Einschüchterungen über Wasser, bis bei ihm aus heiterem Himmel eine multiple Krebserkrankung diagnostiziert wird. Der schmierige Rekrutierer (Jed Rees) verspricht ihm Heilung und eine Karriere als Superheld, wenn sich Wade einer Genmanipulation unterzieht. An deren Ende ist Wade zwar unsterblich, selbst abgehackte Hände wachsen nach, doch seine Haut hat eine ähnliche Geschmeidigkeit wie die von Freddy Krüger. Getrieben von dem Wunsch, wieder hübsch und glatt auszusehen und seine Verlobte zu umarmen, begibt sich „Deadpool“, wie er sich in roter Verkleidung nun nennt, auf die Suche nach seinem Folterknecht, dem Arzt Ajax. Häppchenweise werden auch alle weiteren Figuren, wie sein nerdiger Bar-Kumpel Weasel (T.J. Miller) und seine greise Mitbewohnerin Blind Al, eingeführt.
Aus einer pompösen Landsitz-WG greifen immer mal wieder Colossus und Negasonic Teenage Warhead (keine Sorge, den bescheuerten Namen kommentiert auch Deadpool zur Genüge) ins Geschehen ein, vor allem um Deadpool moralische Grundtugenden der X-Men einzuflüstern. Ohne großes Rätselraten entblättert sich die dünne Handlung vor dem Zuschauer, nach Abzug aller gelungenen Frotzeleien, Furz und- Onaniesprüche oder verschiedener Beschreibungen seines grausig entstellten Gesichtes bleibt ein simpler Rachefeldzug mit echtem Liebeskern übrig.
Diese Lovestory wird vor allem durch Morena Baccarin als Vanessa sehens- und fühlenswert. Die Romanze der beiden Outsider, der unehrenhaft entlassene Soldat und die Stripperin, hebt den Film auf bisher nicht gewagte Höhen im Comic-Genre. Die schweißtriefende Körperlichkeit der Liebesszenen erinnert genauso an Mickey Rourke in „9,5 Wochen“ wie an den flirrenden Charme einer Julia Roberts in „Pretty Woman“. Und anders als sonst in der Superhelden-Branche muss Deadpool seine Angebetete nicht halb bewusstlos aus den Fängen seines Widersachers retten, sondern Vanessa wirkt beim finalen Hauen- und Stechen mit der Grazie einer Latino-Tänzerin mit.
Ed Skrein etabliert als Ajax schon in den ersten Sekunden seines Auftrittes einen abgrundtiefen Hass aus dem Nichts gegen Wade. Dem Arzt, für den genmanipulierten „Umbau“ von Wilson verantwortlich, steht Gina Carano als bärenstarke Angel Dust bei allen Gemeinheiten zur Seite.
Das Krankenschwester/Doktor-Duo wurde in der Untergrund-Klinik vorher selber optimiert, so dass die mehrfachen Prügeleien mit Deadpool bis auf das Finale in einem Remis enden – was der Spannung nicht wirklich zuträglich ist. Schauplatz der spektakulären Endschlacht ist dann ein Flugzeugträger im Trockendock, der nach Deadpools Behandlung wohl nie wieder in See stechen wird...
Fazit: Schlagfertigkeit siegt über Action
Bei allen dramaturgischen Neuerungen nutzt sich Umkehrung des Streber-Prinzipes der bekannten Helden aber dann doch irgendwann ab. Die pure Häufung von derben Sprüchen, Anfangs noch mit Gelächter bedacht, später nur noch mit Schmunzeln quittiert, bewirkt genauso wie die irrwitzig bebilderte Gewalt einen Abstumpfungs-Effekt.
Nach hinten raus versandet Deadpool in den üblichen Comic-Verfilmungsmechanismen, obwohl dem schusseligen, kindlich-naiven Helden mit der großen Fresse ein enormes Unterhaltungspotenzial zugestanden werden muss.