Eoin Colfers Bücher über den zwölfjährigen Meisterdieb Artemins Fowl sprechen die Fantasie von Millionen Lesern auf der ganzen Welt an. In den Büchern dreht sich alles um Magie und Zauber. Nun, wie viel davon konnte Regisseur Kenneth Branagh auf die Leinwand bringen?
The Ridiculous Aculous
Ich beginne meine Rezensionen gerne mit einem kurzen Ausblick auf die Handlung. Also bitteschön: Artemis Fowls lebt mit seinem Vater, einem erfolgreicher Kunsthändler, auf einem irischen Landsitz. Seine Mutter ist bereits verstorben … und hier werden alle Kenner der Romanserie bereits laut aufschreien. Zwei einfache Informationen und beide für Fans der Bücher natürlich grundfalsch. Aber Film ist Film und Buch ist Buch. Und gelungene Literaturverfilmungen unterscheiden sich von weniger gelungen immer dort, wo die Filmemacher wussten, welche Teile der Vorlagen sie ändern oder sogar weglassen mussten.
Weiter im Text: Nachdem der Vater plötzlich spurlos verschwindet, muss Artemis entsetzt feststellen, sein Vater wird in den Nachrichten als Dieb bezeichnet. An dieser Stelle höre ich die Fans der Vorlage laut aufstöhnen. Aber ich muss um Geduld bitten. Wo war ich? Genau: Ein böses Wesen namens Opal Kobo hält den Vater als Geisel und verlangt ein mächtiges Artefakt namens „Aculous“ als Lösegeld. Und an dieser Stelle möchte ich auch mit dem Ausblick auf die Handlung Schluss machen, weil ich Mitleid mit allen Fans der Serie habe, die mittlerweile kurz davor sind ihre Mobiltelefone, Tabletts oder PCs frustriert gegen die Wand zu schmeißen.
Die „Der Dunkle Turm“-Schule für Literaturverfilmungen
Wie bereits erwähnt: Drehbücher nach Vorlagen zu verfassen, ist eine eigene Kunst. Gerade wenn die Vorlage viele Fans hat, kann man es als Drehbuchautor schwerlich jedem von ihnen Recht machen. Vor einigen Jahren haben die Macher der Harry-Potter-Filme das letzte der Bücher sogar auf zwei Spielfilme aufgeteilt um der Handlung und den vielen Charakteren gerecht zu werden. Diese Idee haben auch die Macher der „Twilight“- und der „Hunger Games-Filme übernommen. Das hat jeweils ganz gut funktioniert.
Die Macher des Films „Der Dunkle Turm“ beschritten 2017 dann einen anderen, mutigen Weg. Nachdem eine Verfilmung der beliebten Buch-Serie seit Jahren immer wieder angekündigt worden war, um dann doch mehrmals nicht realisiert zu werden, scherten sie sich irgendwann kaum noch um die Vorlage, stellten ihr Drehbuch aus Elementen verschiedener Bücher der Serie zusammen, fügten wenig originelle neue Elemente hinzu die nicht richtig zum Rest passen wollten und brachten einen mit gerademal anderthalb Stunden recht kurzen Film heraus, der einem aber dann doch recht lang vorkam. Fans der Vorlage haben den Film gehasst. Kinofans, die mit der Vorlage nicht vertraut waren, konnten mit dem Film nichts anfangen.
Warum dieser Exkurs in die jüngere Filmgeschichte? Nun ja, eine Verfilmung der Buch-Serie rund um „Artemis Fowl“ wurde zum ersten Mal 2001 angekündigt, um dann doch mehrmals nicht realisiert zu werden. Und wäre es nicht schön, wenn das die einzige Parallele zwischen diesen beiden Filmen bliebe? Leider scherten sich auch die Drehbuchautoren von „Artemis Fowl“ kaum um die Vorlage. Sie stellten ihr Drehbuch aus Elementen verschiedener Bücher der Serie zusammen und fügten wenig originelle neue Elemente hinzu die nicht richtig zum Rest passen wollen. Und nun bringt Disney diesen Film auf seinem streaming-Dienst heraus. Und obwohl der fertige Film mit gerademal anderthalb Stunden recht kurz ausfällt … ist das Muster erkennbar?
Hamish McColl hat bisher die Drehbücher für solche Epen wie „Mr. Bean macht Ferien“ und „Paddington“ verfasst. Und sein Co-Autor Conor McPherson hat bisher eine kleine Handvoll Drehbücher zu Film- und Fernsehproduktionen verfasst, von denen ich noch keine gesehen habe. Warum übergibt ein Unternehmen wie Disney ein Projekt wie dieses an zwei noch recht unerfahrene Drehbuchautoren? Die Handlung dieses Films erzählt gar keine Geschichte. Stattdessen bekommen wir eine Standardszene nach der anderen präsentiert, die wir alle bereits origineller geschrieben und besser inszeniert aus Dutzenden anderer Filme kennen.
Denn auch die Arbeit von Regisseur Kenneth Branagh wirkt als hätte ihm wirklich gar nichts zu dem Projekt einfallen wollen und als hätte aber auch gar keine Zeit dafür gehabt und als hätte ihn beides auch rein gar nicht interessiert. Schnell, fast gehetzt hat er Szene an Szene gereiht, eine weniger originell als die andere.
Filmemachen für Eilige
Artemis ist irgendwie schräg. Also kommt schnell eine unlustige Szene mit jemandem der entweder Schulpsychologe oder Artemis Therapeut ist (welches von beiden kommt im Film nicht raus und ist auch egal). Die tiefe Bindung von Vater und Sohn soll vermittelt werden. Also muss der arme Colin Farrell in einer kurzen Szene hölzernen Dialog sprechen. Artemis vermisst seinen Vater. Also lassen wir auch das den Erzähler aus dem Off erklären, statt einfach passende Bilder zu zeigen.
Die gleichgültige Faulheit der Macher von „Artemis Fowl“ wird in einer von Josh Gad gespielten Figur überdeutlich. Dieser Mulch ist ein zu groß-geratenen Zwerg, sieht aber eher aus wie mittelmäßiger Cosplayer als „Hagrid“. Mulch ist nicht einfach bloß der typische „Erzähler aus dem off“. Zum einen erzählt er zwar wohl 40% des Films aus dem Off, spricht aber gefühlt 30% der Zeit sogar direkt in die Kamera. Zum anderen „erzählt“ er nicht bloß, er „erklärt“. Oft genug erklärt er sogar, was wir ohnehin gerade auf dem Bildschirm sehen und was kein bisschen erklärungsbedürftig ist.
Mathematisch begabte Leser denken jetzt, 40% der Zeit erklärt diese Figur alles aus dem „off“ und 30% der Zeit im „on“, da bleiben ja noch 30% Laufzeit, während der nicht erklärt wird. Aber leider geht diese Rechnung nicht auf. Denn diese restlichen 30% der Laufzeit erklären uns die anderen Figuren den Film. Das Talent der großartigen Judy Dench wird minutenlang verschwendet, wenn diese Schauspiellegende irgendwelche politischen Machtkämpfe in der Feenwelt erklären muss, die dann ohne jeden Belang für die Handlung sind. Später darf sie noch das Nachlassen eines Schutzschildes erklären, das wir ohnehin gerade gezeigt bekommen. „Artemis Fowl“ ist einer dieser Filme, die auch als Hörspiel funktionieren würden.
Vermutlich würde der Film als Hörspiel sogar besser funktionieren. Denn visuell hat der Film nicht viel zu bieten. Die Handlung wird nie mit Bildern gezeigt, immer nur im Dialog erklärt. Zugänge zu Geheimverstecken haben wir in allein in den letzten Jahren in Dutzenden Filmen witziger gezeigt bekommen. Ein Zentaur kann im Vergleich zu „Percy Jackson“ oder „Narnia“ nicht überzeugen. Und die Reise durch einen Vulkan an die Erdoberfläche war schon 1959 in „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ spannender anzusehen. Die wenig beeindruckenden Bilder werden mit Musik von Patrick Doyle („Thor“, „Cinderella“) untermalt, die vielleicht für den Trailer gut genug gewesen wäre.
Über die Leistungen der Schauspieler gibt es nicht viel zu sagen. Die Veteranen wie Colin Farrell, Dame Judy Dench, Josh Gad oder Nonso Anozie erklären tapfer die Handlung und bekommen so nie die Gelegenheit aus ihren Rollen echte Charaktere zu machen.
Der junge Ferdia Shaw ist entweder eine Fehlbesetzung oder Regisseur Kenneth Branagh hat mit ihm nie richtig an der Rolle gearbeitet. Vermutlich beides. Der Nachwuchsdarsteller vermittelt weder die Intelligenz noch die kühne Gelassenheit der Titelfigur und wird uns nie auch nur halbwegs sympathisch.
Der noch recht unbekannten Lara McDonnell hätte man in der Rolle der Holly einen anderen Film gewünscht. Gleiches gilt für die junge Tamara Smart. Ihre Figur der Juliet Butler haben die Filmemacher mittendrin offensichtlich komplett vergessen. Wenn sie im unübersichtlichen Endkampf zweimal auftaucht, weiß man nicht warum und wozu.
Fazit
In den Büchern um Artemins Fowl geht es um Fantasie, um Magie und Zauber. Im Film ist nichts davon zu sehen. Stattdessen bekommen wir generische Fantasy/Science-Fiction mit viel Dialog, wenig Ideen und nichts Neuem.