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Kritik: Gran Turismo

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Autor: Walter Hummer
 
Endlich wieder eine Videospielverfilmung! Wer erinnert sich nicht gerne an spannende, berührende Videospielverfilmungen wie … pfh, … oder, … Moment, … tja, … naja, … ok, …
Vor kurzem durfte ich unsere Leser*innen über „Barbie“ informieren. „Barbie“ basiert auf einer Reihe von Spielzeugen. „Gran Turismo“ basiert auf einer Reihe von Computerspielen. „Barbie“ wurde von Mattel coproduziert, „Gran Turismo“ von Play Station Productions. An „Barbie“ ist unter anderem besonders, „wie Regisseurin Greta Gerwig immer wieder neue Wege findet, diese intelligente Geschichte zu erzählen“. Das Besondere an „Gran Turismo“ ist, wie vorhersehbar und damit leider langweilig jede einzelne Entscheidung der Filmemacher ausgefallen ist.
 
Die Vorhersehbarkeit beginnt natürlich bei der Handlung. Und um das vorwegzunehmen, „based on a true story“ ist ein Marketing-Werkzeug, sonst nichts. Diese Phrase hat nicht mehr Bedeutung für die Qualität eines Films wie das Wort „knackfrisch“ für die Qualität von Salat und Gemüse oder das Adjektiv „sportlich“ wenn es um Vans oder andere Familienkutschen geht. Wenn überhaupt sollte man darauf mit berechtigter Skepsis reagieren.
 
Für das Drehbuch von „Gran Turismo“ zeichnen drei verschiedene Autoren verantwortlich. „Story by Jason Hall and Alex Tse“ und „Screenplay by Jason Hall and Zach Baylin”. Tse hat u.a. das Drehbuch für “Watchmen” verfasst, Hall u.a. das für „American Sniper“ und Baylin das für „Creed III“. Diese drei Personen sind also Profi-Drehbuchautoren. Und sie haben zu dritt einen Film geschrieben, dessen Story so lächerlich dünn und vorhersehbar ist, dass man sich fragen muss, wozu die zwei zusätzlichen Autoren gebraucht wurden. Tatsächlich könnte man sich fragen, wozu alle drei Autoren gebraucht wurden.
 
 
Ich würde gerne schreiben, jede/jeder unserer Leser*innen hätte dieses Drehbuch verfassen können. Aber unsere Leser*innen haben viel zu viel Ahnung von, Interesse an und Respekt vor der Kunstform Film, um sowas zu verfassen. Daher würde dieser Vergleich nicht zutreffen. Passender wäre der folgende: Ich bin von der Pressevorführung von „Gran Turismo“ mit der U-Bahn nach Hause gefahren. Jeder einzelne Fahrgast dieser U-Bahn hätte sich diese Geschichte einfallen lassen können. Und zwar während der Fahrt.
 
Aber niemand sieht sich Filme wie „Gran Turismo“ hauptsächlich wegen der Handlung an. Man sieht sie sich wegen der schnellen Autos an. Vielleicht darf ich kurz meine Beziehung zu Autos beschreiben. Bereits als Knabe hatte ich eine alte Sporttasche voller Matchbox-Autos. Es waren auch welche von Corgi dabei (die hatten damals Autos aus Filmen und TV-Serien, wie den Aston Martin DB5 von James Bond oder den Buick Regal von Kojak), aber die Modelle von Matchbox waren einfach besser. Meine Lieblingsstücke hatte ich nachts unter meinem Kissen.
 
Mein erstes eigenes Auto war ein Saab, bei dem ich in anderthalb Jahren zweimal die Kupplung ruiniert habe. Mit achtzehn Jahren findet man es unterhaltsam, wenn die Vorderräder auch im zweiten Gang durchdrehen, aber dem Fahrzeug tut das gar nicht gut. Später folgten u.a. ein Ford Mustang und mehrere BMWs. Fünfundzwanzig Jahre später bin noch immer stolz darauf, den Polizeibeamten, die mich mit einem „Lupo Cup“-Rennwagen ohne Straßenzulassung aufgehalten haben, sowohl Anzeige als auch Beschlagnahme des Fahrzeugs ausgeredet zu haben.
 
Meine Vorliebe für schnelle Autos und meine Liebe zum Film lassen sich oft hervorragend vereinbaren. Einer der ersten Filme für Erwachsene, die ich im Kino gesehen habe, war „Auf dem Highway ist die Hölle los“. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist seit mehr als dreißig Jahren „Vanishing Point“. Während meines letzten Urlaubs habe ich die Ecke in Nizza besucht, wo der Audi S8 in „Ronin“ den Citroen XM eingeholt hat. Ich liebe die Verfolgungsjagd in Marokko in „Mission: Impossible – Rogue Nation“, auch wenn der BMW M3 das falsche Motorengeräusch hören lässt.

01 ©2023 Sony Pictures02 ©2023 Sony Pictures.03 ©2023 Sony Pictures.04 ©2023 Sony Pictures.
 
Wie hat es Regisseur Neill Blomkamp also geschafft, jemanden wie mich, mit meiner Affinität für schnelle Autos, mit seinem Film über weite Strecken einfach nur zu langweilen? Blomkamp ist, wie auch die drei Drehbuchautoren, ein Profi auf seinem Gebiet. Sein erster Spielfilm „District 9“ war einer der originellsten Science-Fiction-Filme der letzten zwanzig Jahre. Aber bereits „Elysium“ war zwar gut gemeint, aber nur teilweise gut gemacht. Und bei „Chappie“, einer Art „Pinocchio“ mit Drogen und vollautomatischen Waffen, hatte Blomkamp während der Ausführung offensichtlich die Kontrolle über seine eigene Idee verloren.
 
Vielleicht wollte er sich dieser Gefahr bei „Gran Turismo“ nicht mehr aussetzen und lässt daher keinerlei eigene Ideen erkennen. Jede einzelne Sequenz, jede einzelne Szene, einfach alles in diesem Film läuft nach den immer gleichen altbewährten Mustern ab. Der Film ist teilweise sehr hochwertig gestaltet. Aber niemals vermittelt uns dieser Film ein Gefühl für die Fahrzeuge, die Rennstrecken, die Geschwindigkeit und die Gefahr. In diesem Film wird ein tödlicher Unfall gezeigt, der niemanden im Publikum berührt und der auch schnell folgenlos bleibt.
 
Der Handlung findet auf und rund um ein Dutzend verschiedener Rennstrecken statt, die kaum zu unterscheiden sind. In einer Szene wird von einer Reise nach Wien gesprochen. Dann sieht man die Protagonisten im Privatflugzeug nach Wien sitzen und über Wien sprechen. Und alles was wir von Wien zu sehen bekommen, ist eine nächtliche Luftaufnahme und der Eingang zu einem Hotel, das auch in Budapest stehen könnte und vermutlich auch dort steht, weil der größte Teil des Films dort gedreht wurde.
 
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You get extra points for that in the game?
 
Selbst die Autos wirken langweilig und austauschbar. Der Nissan GT-R ist einer der besten Sportwagen der Welt. Aber leider ist er ein Nissan und so mancher echte Autofreak hält ihn für ein Spielzeug für Nerds. Leider sehen wir die erste Hälfte des Films nur Nissan GT-Rs gegeneinander antreten. Und die sind auch noch alle weiß. Sehr viel langweiliger kann man Sportwagen mit 600 PS kaum in Szene setzen.
 
Auch während der späteren Rennen, bekommen wir kaum ein Gefühl für die unterschiedlichen Fahrzeuge vermittelt. Es gibt einen goldenen Lamborghini, damit wir jederzeit erkennen, in welchem Auto der Bösewicht sitzt. Und es gibt einen Audi mit einem Regenbogenmotiv auf dem Lack, damit der zweite Bösewicht ebenso erkennbar bleibt. Ein Ferrari wird erwähnt, weil er ausfällt. Eine ganz besonders wichtige Runde fährt der junge Nachwuchsfahrer mit einem Porsche. Warum er mit einem Porsche fährt, bleibt unklar. Ob ihn sein Trainer auf die Unterschiede der Fahrzeuge hingewiesen hat, ebenso.
 
In einem Film, in dem die Autos die Stars sein sollten, lernen wir die Autos nie richtig kennen. Wie sieht es also mit den menschlichen Stars aus? Der noch recht unbekannte Archie Madekwe hatte eine kleine Rolle in „Midsommar“. Als Hauptdarsteller einen einzelnen Film zu tragen, scheint ihn zu überfordern. Vielleicht spricht er deshalb während des Films immer, als würde er gleich anfangen zu weinen. Das wirkt irritierend, weil seine Figur später im Film tatsächlich weinen muss und wir das dem jungen Darsteller zu dem Zeitpunkt nicht mehr abkaufen.
 
Der von mir sonst sehr geschätzte David Harbour („Stranger Things“) spielt den Rennstallchef , der zu Anfang des Films keinen Bock auf den Job hat. Leider merkt man, wie wenig Bock der Darsteller David Harbour auf seinen Job hatte und das während des ganzen Films.
 
Natürlich kann es dem Schauspieler nicht leicht fallen, die fast ausnahmslos wirklich strohdummen Dialogzeilen von sich zu geben. In einer Szene muss Harbour (191 cm und sicher 100 kg) den Hauptdarsteller (193 cm und sehr schlank) darauf ansprechen, dass er vielleicht gar nicht in die Rennwagen passen wird, obwohl die beiden praktisch gleich groß sind und auch Harbours Figur diese Rennwagen fährt. Trotzdem hätte der Darsteller sich mehr Mühe geben können. Orlando Bloom spielt den Marketingboss als Marketingboss. Seine Rollenbeschreibung lautete vermutlich Marketingboss und die einzige Regieanweisung, die er während der Dreharbeiten bekommen hat, lautete vermutlich auch, „Du bist der Marketingboss“.
 
Es gibt noch eine Liebesgeschichte mit einer jungen Frau, die über die Persönlichkeit eines Hundewelpen im Schaufenster einer Tierhandlung verfügt. Wir erfahren über diese Figur bloß, dass sie gerne nach New York möchte, weil es dort wohl gute Pizza gibt. Daher lädt der Held sie nach Tokio ein, was schon ausreicht, dass sie sich in ihn verliebt. Ich habe sowohl den Namen der Figur als auch den der Darstellerin vergessen. So wenig Eindruck haben beide hinterlassen.
 
Der stets verlässliche Djimon Hounsou hat schon so manchen misslungenen Film aufgewertet („Genauso anders wie ich“, „The King’s Man: The Beginning“). Hier machte er das Beste aus seiner Rolle als Vater, die wir so oder so ähnlich schon in ein paartausend Filmen gesehen haben.
 
Ein Unfall im letzten Drittel des Films lässt uns nur wegen Geri Halliwells Reaktion als Mutter nicht komplett kalt. Wenn einer von zwei emotional berührenden Momenten eines Films von einem ehemaligen Spice-Girl vermittelt wird, sagt das eigentlich alles über die Qualität des Films aus.
 
Fazit
 
Die meisten Verfilmungen von Videospielen sind weder besonders spannend noch besonders berührend. Aber „Gran Turismo“ ist über weite Strecken so spannend und berührend, wie jemandem dabei zuzusehen, wie er das Videospiel spielt.
 
 
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