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Kritik: Napoleon

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Autor: Christopher Diekhaus
 
Großer Schauspieler verkörpert legendäre historische Persönlichkeit.Aber: Kommt dabei auch ein starkes Biopic heraus? Leider nein, auch wenn Filmemacher Ridley Scott beeindruckende Schauwerte auffährt.
 
Zu kurz trotz Überlänge
 
Bereits beim modernen Sandalenepos „Gladiator“ arbeiteten der Brite Scott und US-Darsteller Joaquin Phoenix zusammen. Etwas mehr als 20 Jahre später kommt es schließlich zu einer zweiten Kollaboration, maßgeblich begünstigt durch die furiose Joker-Performance des Schauspielers, für die er 2020 mit dem Oscar ausgezeichnet worden war. Nachdem er Phoenix in der ungewöhnlichen Comic-Adaption gesehen hatte, war Scott, so ist zu hören, derart begeistert, dass er ihn sehr schnell für die Hauptrolle seiner Filmbiografie über den französischen Machthaber Napoleon in Erwägung zog.
 
Ein Part, der wie gemacht scheint für den leicht verschroben wirkenden Hollywood-Star, der in seiner Laufbahn schon einigen schwierigen, neurotischen und/oder kaputten Figuren Leben einhauchen konnte. Auch dieses Mal bringt Phoenix genügend Charisma und Präsenz mit, um die ikonische historische Persönlichkeit aus dem restlichen Ensemble herauszuheben.
 
 
Zu einem Problem wird in der 159-minütigen Kinofassung des von den Apple Studios in Auftrag gegebenen Films jedoch der Versuch, alle wichtigen Stationen und Handlungen Napoleons unterzubringen. Auch in mehr als zweieinhalb Stunden kann vieles nur angerissen, angedeutet werden, gibt es nur wenige Möglichkeiten, den schillernden Titelantihelden wirklich zu durchleuchten. Ein deutlich längerer Director’s Cut – die Rede ist von einer viereinhalbstündigen Laufzeit – soll irgendwann nach dem Streaming-Start bei Apple TV+ verfügbar sein und könnte manche Schwächen der Leinwandversion ausbügeln.
 
Selbst in diesem Fall fragt man sich aber, ob der Ansatz Steven Spielbergs nicht der sinnvollere ist. Bei der Berlinale 2023 kündigte er nämlich an, das sagenumwobene, nie realisierte Napoleon-Projekt seines verstorbenen Kollegen Stanley Kubrick vollenden zu wollen – auf Basis eines bereits existierenden Drehbuchs und, anders als ursprünglich geplant, in Form einer aufwendigen Serie.
 
Scott in den Kinos anlaufender Film fühlt sich wie ein Ritt durch die bewegte europäische Geschichte Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts an. Wir steigen ein in den Wirren der Französischen Revolution, als der korsische Militärstratege Napoleon Bonaparte bereits seinen Ehrgeiz unter Beweis stellt. Während er in Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) eine Partnerin findet, arbeitet er sich konsequent nach oben, holt wichtige Siege gegen die Feinde der neuen Machthaber, die sich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahne schreiben. 1804 greift er schließlich zur Kaiserkrone und reißt damit die Entscheidungsgewalt an sich. Weil er und Joséphine partout keine Kinder bekommen, Napoleon aber eine Erben braucht, kriselt es mehr und mehr in seiner Ehe.
 
01 ©2023 Sony Pictures02 ©2023 Sony Pictures03 ©2023 Sony Pictures04 ©2023 Sony Pictures
 
Wuchtige Schlachtpassagen
 
Es ist bedauerlich, aber angesichts der komplexen Zusammenhänge nur zu verständlich: Scotts Biopic verhandelt viele spannende Aspekte und Ideen, ohne ihnen wirklich gerecht zu werden. Die Französische Revolution wird eingedampft auf zentrale Wendepunkte und markante Schlagworte. Einige der zahlreichen real existierenden Charaktere werden mit Namen und Positionen vorgestellt. Andere bleiben schwammig. Und überhaupt erfahren wir wenig über die Haltungen und Strategien wichtiger, mit Napoleon kollidierender Nebenfiguren. Ein Film soll natürlich nicht zu einem historischen Proseminar verkommen. Wird es so sprung- und lückenhaft wie hier, macht sich aber irgendwann etwas Ernüchterung breit. Besonders reizvoll hätte der Blick auf die innig-komplizierte Beziehung zwischen dem Ehrgeizling Napoleon und seiner Gattin sein können.
 
Im Dialog und im Briefaustausch ist mehrfach davon die Rede, dass sein beispielloser Aufstieg ohne sie nicht möglich gewesen wäre. Handfeste Belege für diese These fehlen jedoch in der Handlung. Joséphine bleibt zu sehr am Rande, hat nicht den Entfaltungsraum, der sie zu einer ambivalenten Figur machen würde. Vor allem in dieser Hinsicht könnte die deutlich längere Streaming-Fassung Abhilfe schaffen. Plastischer wirkt im Vergleich Napoleon, auch wenn es bei ihm ebenfalls einige seltsame Leerstellen gibt. Dank Phoenix‘ gewohnt magnetischer Performance, die zwischen stoischer Ruhe, wilder Entschlossenheit, alberner Lüsternheit und kindischer Bockigkeit schwankt, geht das Interesse am Werdegang des geltungssüchtigen Korsen nie komplett verloren.
 
Was den Film trotz seiner inhaltlichen Schwächen zu einem annehmbaren Leinwanderlebnis macht, sind seine handwerklichen Qualitäten. Ridley Scott hat offenkundig nicht wenig Geld in die Hand nehmen dürfen und wusste damit einiges anzufangen. Kostüm- und Szenenbild sind erlesen. Immer wieder gelingen Kameramann Dariusz Wolski stimmungsvoll-nachhallende Aufnahmen. Nicht nur in den wuchtig-erdigen Schlachtsequenzen, die sich deutlich authentischer anfühlen als der CGI-Brei in vielen Superheldenstreifen. Auch Momente wie Napoleons Ankunft in einem fast menschenleeren Moskau, sein Schreiten durch verwaiste Paläste haben eine enorme Ausdruckskraft. Wer große Bilder sehen will, ist bei Scott an der richtigen Adresse.
 
Fazit
 
Wie man es dreht und wendet: Eine der wohl schillerndsten historischen Persönlichkeiten ist mit einer rund zweieinhalbstündigen Leinwandbiografie nicht richtig zu fassen. Daran ändern auch eine starke Optik und ein präsenter Hauptdarsteller wenig.
 
 
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