How deep is your love?
Ich will hier nicht behaupten, Yorgos Lanthimos hält alle Frauen für schlechte Autofahrer. Aber sein Frauenbild ist sicher ein sehr Spezielles. Denn nicht nur ist „Kinds of Kindness“ der Film mit den unnötigsten weiblichen Nacktszenen des Jahres. Es fällt auf, dass bei Lanthimos nur die im konventionellen Sinne attraktiven Darstellerinnen blank ziehen müssen.
Von Emma Stone bekommen wir während des Films wieder mehr zu sehen als ihr aktueller Lebensabschnittspartner vermutlich an so manchen Tagen. Margaret Qualley hat in “Once Upon A Time in Hollywood” eine Prostituierte gespielt und in “Nice Guys” eine Pornodarstellerin. So viel wie in „Kinds of Kindness“ haben wir in keinem der beiden Filme von ihr zu sehen bekommen. Die bezaubernde Hunter Schafer („Cuckoo“) hat nur eine einzige Szene im Film. Ihre nackte Oberweite ist trotzdem ausgiebig im Bild.
Hong Chau war für „The Whale” für einen Oscar nominiert und ist eine durchaus aparte Erscheinung. Aber vielleicht weil sie nur 1,55 m groß ist oder vielleicht weil sie schon über vierzig ist, … jedenfalls ist sie in „Kinds of Kindness“ nicht nackt zu sehen, obwohl Geschlechtsverkehr mit ihren Figuren in zwei der drei Episoden sogar ein Handlungselement ist. Auch eine bildhübsche aber doch recht kräftig gebaute unbekannte junge Darstellerin namens Krystal Alayne Chambers darf ihre Unterwäsche anbehalten. Hier ist nicht einfach nur ein Muster erkennbar. Das Publikum kann leicht erkennen, welchen Typ Frau Yorgos Lanthimos bevorzugt.
Emma Stone ist nach „The Favourite” und „Poor Things“ wieder ganz klar Lanthimos Favorit, das arme Ding. Und auch wenn sie in „Kinds of Kindness“ wieder eine großartige Leistung zeigt, könnte sie darüber nachdenken, wie leicht sie als zweifache Oscar-Gewinnerin solche Leistungen auch in der Zusammenarbeit mit Regisseur*innen zeigen könnte, die sie nicht in jedem einzelnen ihrer Filme nackt sehen … Verzeihung, … zeigen müssen.
Auch Willem Dafoe beweist sich, wie zuletzt in „Poor Things“, wieder als ganz besonderer Darsteller. Seine Rollen in der ersten und dritten Episode dieses Films hätten bei anderen Darstellern leicht ins Lächerliche abgleiten können. Nur Dafoe kann so mühelos und natürlich gleichzeitig Satan und Verführer, bestimmend und erbärmlich, Monster und doch Mensch sein. Margaret Qualley, Hong Chau und Mamoudou Athie („The Circle”) liefern solide Leistungen ab, wenngleich sie ihre verschiedenen Rollen in den einzelnen Episoden nicht so unterschiedlich gestalten können wie die drei Stars des Films.
Der unbestreitbar größte Star des Films ist Jesse Plemons. Plemons hat sein Können zunächst in Nebenrollen in Fernsehproduktionen wie „Breaking Bad“ und Spielfilmen wie „Barry Seal – Only in America“ oder „Vice“ unter Beweis gestellt. Mittlerweile hat er sich in so unterschiedlichen Filmen wie „I’m Thinking of Ending Things“ oder „The Power of the Dog“ als großartiger, vielseitiger Menschendarsteller profiliert. Sein Auftritt in „Civil War“ war das mit weitem Abstand Beste am ganzen Film.
Es ist sicher kein Zufall, wenn Plemons in der letzten Episode von „Kinds of Kindness“ eine verhältnismäßig kleine Rolle zu spielen hat. Denn bereits während der ersten zwei Drittel ist dieser Film ein Fest für einen der besten Schauspieler unserer Zeit. Wenn Plemons demnächst mit Größen wie Gene Hackmann oder Philip Seymor Hoffman verglichen werden wird, wird man sich an „Kinds of Kindness“ als seinen ersten großen Film erinnern. Der Darstellerpreis in Cannes neulich war hochverdient und diesem Preis werden sicher noch weitere folgen.