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Kritik: Empire of Light

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Autor: Walter Hummer
 
Wenn einer der besten britischen Regisseure unserer Zeit mit einer der besten Darstellerinnen unserer Zeit und einem der besten Kameramänner unserer Zeit einen Film über das Kino, die Liebe, soziale und politische Ungerechtigkeit, die Kraft des Geistes und noch mehr macht, kann praktisch nicht mehr schief gehen.
 
Blues Brothers & All That Jazz
 
Hilary Small arbeitet 1980 in einem alten Kino in einer südenglischen Küstenstadt. Sie ist einsam, ihr Alltag ist deprimierend und sie wird von Betreiber des Kinos sexuell ausgebeutet. Sie scheint nur für die Arbeit in dem alten Kino zu leben. Dabei sieht sie sich noch nicht einmal die Filme an, die dort gezeigt werden. Doch ihr Leben ändert sich drastisch als der junge Schwarze Stephen ihr neuer Kollege wird ...
 
Sam Mendes ist einer der interessantesten und vielfältigsten britischen Regisseure der letzten Jahrzehnte. Er hat so unterschiedliche Filme wie „American Beauty“, die beiden Bond-Filme „Skyfall“ und „Spectre“ aber auch „1917“ gedreht. Nachdem er bei „1917“ zum ersten Mal als Co-Autor am Drehbuch mitgearbeitet hat, ist „Empire of Light“ sein erster Spielfilm, für den er allein das Drehbuch verfasst hat. Und vermutlich liegt darin das einzige aber leider gravierende Problem dieses Films.
 
 
„Empire of Light“ ist absolut sehenswert. Das aber fast nur wegen der Arbeit zweier grandioser Künstler*innen. Ich werde später darauf eingehen, wie Darstellerin Olivia Colman und Kameramann Roger Deakins diesen Film nicht nur retten sondern überhaupt erst sehenswert machen. Zuvor widmen wir uns dem Drehbuch von Sam Mendes. Dieses Drehbuch will zu viel und erreicht, vor allem in der ersten Hälfte des Films, viel zu wenig. In den letzten 10 Minuten stößt es das Publikum dann mit seiner Beliebigkeit vor den Kopf.
 
Es wäre sicher besser gewesen, Mendes hätte einen Film über das schwierige Leben einer alleinstehenden, einsamen Frau mit angeschlagener geistiger Gesundheit gedreht und einen zweiten Film über die furchtbare politische und soziale Situation für schwarze Briten während der Thatcher-Ära. Jedes dieser beiden Themen verdient einen eigenen Film. Stattdessen hat Mendes diese beiden umfassenden, komplexen Themen in einen einzigen Film von knapp zwei Stunden Laufzeit gepackt.
 
Zusätzlich zu einer Liebesgeschichte, die nicht recht funktioniert und gar nicht funktionieren kann, und einem Sozialdrama, das nie zu einem Abschluss kommt, will Mendes uns noch die Liebe zum Kino vermitteln ohne uns während der ersten 105 Minuten auch nur einen Schnipsel eines der im Kino gezeigten Filme zu zeigen. Mit 2-tone macht er auch noch eine Musikrichtung zum Handlungselement, die heute kaum jemand kennt, lässt uns aber keine 45 Sekunden dieser Musik hören. Es wirkt als wüsste Drehbuchautor Mendes nicht, wie er seine Themen in der Laufzeit des Films unterbringen sollte. Umso schlimmer, wenn er während der ersten Hälfte dieses Films nur wenig geschehen lässt. Lange Zeit findet die Handlung kaum statt.
 
Mendes Exposition funktioniert zunächst ganz wunderbar. Wenn Hilary den Tag damit beginnt, ihrem Vorgesetzten den Aschenbecher auszuleeren, die Heizung einzuschalten und sogar seine Hausschuhe korrekt auszurichten, erfahren wir schnell sehr viel über diese Frau und ihr Leben. Eine für beide Beteiligten entwürdigende sexuelle Handlung klärt uns schnell über die Natur dieser Beziehung auf.
 
Aber dann darf Hilary Gedichte zitieren und eine andere Figur darf uns erklären wie Film funktioniert und eine weitere Figur spricht über Musik und dann wird über die Vergangenheit des Kinos gesprochen und so weiter und so fort. Auch wenn das alles sehr gut gemacht ist und einzelne Szenen richtiggehende Feste für ihre Darsteller*innen sind, bringt das alles die Handlung nicht weiter. Und die wäre tatsächlich furchtbar interessant.
 
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Stir Crazy & Raging Bull
 
Ganz zu Beginn des Films sehen und hören wir, dass Hilary wohl Lithium verschrieben bekommen hat. Aber es dauert fast eine Stunde, bis der Grund dafür erwähnt wird. Wie sich das Leiden der Hauptfigur äußert, sehen wir nochmal später. Und erst in der grandiosen zweiten Hälfte darf uns die fantastische Olivia Colman endlich das Leid und die Angst und den furchtbaren Schmerz emotionaler Krankheit vermitteln. Erst nach deutlich mehr als einer Stunde darf diese Ausnahmekünstlerin im schlampig übergeworfenen Abendkleid und mit Lippenstift auf den Zähnen dastehen und uns auch die enorme Kraft und Widerstandsfähigkeit erfahren lassen, über die ihre Figur trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Krankheit verfügt.
 
Olivia Colman als Hilary während der ersten Hälfte des Films ein deprimierendes Leben führen und ein bisschen Hoffnung schöpfen zu sehen, ist wunderbar. Sie in der zweiten Hälfte des Films gegen ihre Verwirrung und ihre inneren Dämonen ankämpfen zu sehen, ist atemberaubend! Olivia Colman zeigt hier aufs Neue eindrucksvoll, warum sie eine der größten und wandelbarsten Schauspielerinnen unserer Zeit ist.
 
Neben vielen anderen Faktoren, sind es wohl Colmans Aussehen, ihr Gesicht und ihr Körperbau und wie sie diese einsetzt, die dafür sorgen, dass wir als Publikum uns mit jeder von ihr gespielten Figur voll identifizieren können. Wir realen Menschen sehen nicht aus wie Margot Robbie oder Jessica Chastain, die selbst in Schmerz und Trauer noch wunderschön sind. Für die Herren: Wir sehen auch nicht aus wie Leonardo DiCaprio oder Joaquin Phoenix. Wir sehen aus wie Olivia Colman.
 
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Und wir sind umgeben von Menschen, die aussehen wie Olivia Colman. Wie Olivia Colman sehen wir erbärmlich aus, wenn wir traurig oder deprimiert sind. Wir sehen hässlich aus, wenn wir wütend sind. Wir sehen peinlich aus, wenn wir unangenehm auffallen. Aber wir sind plötzlich bildhübsch, wenn wir mal glücklich sind. Wir strahlen, wenn wir fröhlich sind. Man sieht in solchen Momenten vielleicht ein Funkeln in unseren Augen, das im Alltag schon längst verloschen ist. Und dieses Funkeln lässt uns plötzlich ganz besonders wirken ... für diejenigen, die es sehen können, bevor es wieder verlischt weil unser Leben oft nicht genug Brennstoff für dieses Funkeln liefert.
 
Olivia Colman liefert uns all das, was wir im realen Leben an uns selbst und an unseren Mitmenschen beobachten und noch viel mehr. Völlig frei von jeder Eitelkeit und ohne uns je die Darstellerin bei der Arbeit erkennen zu lassen, vermittelt sie wahre Emotionen, statt eine Szene zu spielen. Sie zeigt uns das wahre Leben, statt uns einen Film sehen zu lassen. Sie lässt uns einen echten Menschen kennenlernen, statt eine Rolle zu spielen.
 
Neben dieser Ausnahmekünstlerin müssen die anderen Darsteller*innen achtgeben, nicht übersehen zu werden. Der noch recht unbekannte Micheal Ward versprüht sympathischen, jungenhaften Charme. Toby Jones („Kaltes Blut“) ist in jeder seiner Szenen grandios wie immer. Colin Firth, der gutaussehende Gentleman aus „Kingsman: The Golden Circle“ und „Mamma Mia“ hätte in seiner Rolle als Drecksack voll eingebildeter Rechtschaffenheit einen eigenen Film verdient. Tom Brooke spielt einen Kollegen Hilarys, der vom stillen Dulder und Mitwisser zum Helden wird.
 
Neben Olivia Colman heißt der zwei Star, ... nein, ... heißt der zweite Held des Films Roger Deakins. Deakins war unter anderem bei den meisten Filmen der Coen-Brüder für die Kamera verantwortlich. Er hat uns die eisigen Weiten rund um „Fargo“ gezeigt und den amerikanischen Süden der Dreißigerjahre in sepiagetönten Bildern für „O Brother, Where Art Thou?“ festgehalten. Er war bisher fünfzehnmal für den Oscar nominiert, u.a. für „The Shawshank Redemption“, „Kundun“, „Der Vorleser“, „True Grit“ und „Skyfall“, bevor er die Trophäen dann für „Blade Runner 2049“ und „1917“ endlich verliehen bekam. Auch für „Empire of Light“ war er dieses Jahr wieder nominiert und hätte diesen Oscar mehr verdient als je zuvor.
 
Selten zuvor hat jemand alltägliche Situationen und Objekte auf eine völlig undramatische Art und Weise so wunderschön auf die Leinwand gebracht. Der großartige Gordon Willis hatte in den drei Teilen von „Der Pate“ die ausgesucht schönen Drehorte und Kostüme der USA, Italien und Kuba vergangener Epochen zu filmen. Freddie Young hat die epischen Bilder zu Filmen wie „Lawrence von Arabien“ und „Doctor Schiwago“ geliefert.
 
Aber Roger Deakins zeigt uns ein Provinzkino das schon bessere Zeiten gesehen hat, deprimierende Wohnräume, schäbige Restaurants und Krankenzimmer. Und all diese Orte und Räume werden belebt von Menschen in typischer Kleidung der Achtzigerjahre (einem Jahrzehnt, das nicht für seine zeitlose Ästhetik in Erinnerung geblieben ist). Und trotzdem sehen wir in „Empire of Light“ kein Bild das nicht wunderschön anzusehen ist. Beinahe jede Szene enthält einzelne Einstellungen, die man gerahmt an die Wand jeder Fotogalerie hängen könnte. Dabei findet sich in diesem leider sehr uneinheitlich geschriebenen und inszenierten Film nicht ein einziges Bild, das zu viel, zu langweilig, zu dramatisch oder auf andere Art falsch wäre.
 
Fazit
 
Bei einem Film, bei dem eigentlich nichts schief gehen konnte, hat Drehbuchautor und Regisseur Sam Mendes einiges schief gehen lassen. Darstellerin Olivia Colman und Kameramann Roger Deakins retten den Film und machen aus einem missglückten Film ein ganz besonderes Filmerlebnis.
 
 
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