Der Roman „Sonne und Beton“ war ein Bestseller aus dem Jahr 2017. Aber was hat die Verfilmung zu bieten?
Es war alles genauso. Vielleicht aber auch nicht.
Berlin 2003: Lukas hat kein Geld, die Schule ist kacke und sein Vater hat keine Ahnung vom modernen Leben in Gropiusstadt, einem der übelsten Teile von Neukölln . Nun braucht Lukas auch noch dringend Geld, weil er von einer Gang erpresst wird. Sein Freund Gino braucht dringend Geld, weil er mit seiner Mutter vor dem gewalttätigen Vater flüchten will. Und seine Freunde Julius und Sanchez brauchen Geld, weil sie sich endlich mal nicht arm fühlen wollen. Da bekommt ihre Schule neue Computer ...
„Kriegerin“, der erste Film von Regisseur David Wnendt war ein großartiges, hervorragend beobachtetes Drama um junge Menschen ohne Perspektive. Aber bereits Wnendts zweiter Spielfilm, „Feuchtgebiete“ war ein sinnloser, leicht zu durchschauender Pseudo-Tabubruch. „Er ist wieder da“ war dann eine ebenso leicht zu durchschauende Satire, die weder witzig noch bissig war. Als Wnendt danach dann noch die Regie bei einem Tatort übernahm, schien er damit den künstlerischen Offenbarungseid geleistet zu haben.
Um es vorwegzunehmen, mit „Sonne und Beton“ hat Wnendt zu seinen Wurzeln zurückgefunden. Zusammen mit Felix Lobrecht, dem Autor der literarischen Vorlage, hat Wnendt ein Drehbuch verfasst, das die Romanhandlung verschlankt ohne sie zu vereinfachen. Der Film vermittelt nachvollziehbar das Leben in einem Milieu, das den meisten von uns fremd ist und kann dabei (fast) alle gängigen Klischees vermeiden. Nicht nur mit der Hauptfigur, mit jedem der vier Freunde kann sich das Publikum während des ganzen Films identifizieren.
Dabei hilft auch die Regie. Wnendt und Kamerafrau Jieun Yi („Frau Jordan stellt gleich“) erzählen den Film in Bildern die immer realistisch aber nie dokumentarisch wirken. Gleichzeitig liefern sie großes Kino, ohne ihren Film je nach Hollywood aussehen zu lassen. Die Kamera bleibt immer an den jugendlichen Protagonisten dran. Durch ihre Augen sehen wir die Welt von Neukölln. Daher wirkt es auch stimmig, wenn alle Polizeibeamten dickliche Schnauzbartträger und alle Mädchen Lustobjekte sind. Wenn alle Erwachsenen einfach nur alt aussehen, dann weil sie auf die Teenager genau so wirken.
Nur selten begeht Wnendt in seinem Film echte Fehler. Eine Sequenz in der ein junger Mann wieder einmal zuhören muss, wie der besoffene Vater die Mutter misshandelt, wird durch eine Trickaufnahme im Stil von „CSI“ oder „Dr.House“ nicht aufgewertet. Tatsächlich wird dadurch die Wirkung der Szene gestört. Auch das sinnlose Durchladen von Schusswaffen oder die Nachrichtensendung, die genau zum richtigen Zeitpunkt die Handlung kommentiert, sind ungeschickt eingesetzte alte Filmklischees.
Aber wenn ein Vater nach der gewalttätigen Zerstörung seines Autos den Heckscheibenwischer betätigt obwohl genau diese Heckscheibe gerade eingeschlagen wurde, sehen wir ein einfaches, aber wunderbares Bild für die Hilflosigkeit überforderter Erwachsener. Wenn ein Teenager fragt, „Was ist mit seinem Auge?“ und der andere bloß „Sein scheiß Vater“ antwortet, bekommen wir in einem kurzen Dialog, die ganze Misere eines jungen Lebens vermittelt.
Warum hält der nicht einmal die Fresse?
„Sonne und Beton“ ist das seltene Beispiel eines sehr dialoglastigen Films, der uns das Wichtigste dann aber doch immer wieder in Bildern erklärt. Ja, es wird viel gesprochen. Und auch wenn die Jugendsprache herrlich authentisch und extrem ausdrucksstark klingt, wird durch das viele Gesprochene meist doch nur das Scheitern der Kommunikation vermittelt. Es scheitert nicht nur die Kommunikation zwischen den Generationen, nicht nur die zwischen den Geschlechtern. Selbst die Freunde reden dauernd miteinander und können Wichtiges doch nicht sagen.
Wenn Lukas heftig verprügelt wird und nur ein Obdachloser ihm eine Serviette anbietet, um das Blut zu stoppen, erkennen wir noch lange vor dem Protagonisten, wie wenig Hilfe er von seinen Freunden erwarten kann. Wenn die Freunde genug Geld für die Lösung eines dringenden Problems hätten und sich davon Klamotten kaufen, erscheint uns diese Dummheit absolut nachvollziehbar. Wer nie etwas hat, will einmal etwas haben. So einfach ist das. Alles was die jugendlichen Protagonisten im Film tun, ergibt in der Welt in der sie leben einfach Sinn.
Wenn wir die Handlungen der Figuren jederzeit nachvollziehen können, dann liegt das auch an den großartigen Darstellern. Levy Rico Arcos stammt tatsächlich aus Berlin-Neukölln. Er stand für den Film zum ersten Mal vor der Kamera. In der Rolle des Lukas trägt er weite Teile des Films alleine auf seinen noch recht schmalen Schultern. Wenn eine Erwachsene über seine Abitur-Pläne lacht oder er auf andere Art und Weise wieder einmal enttäuscht wird, fühlen wir seine Wut ebenso wie seine Angst.
Rafael Luis Klein-Hessling stand ebenfalls zum ersten Mal vor der Kamera. Er stammt aus der Provinz in der Nähe von Münster. Mit seiner stillen, zurückhaltenden Art vermittelt er als Gino ganz undramatisch einige der emotionalsten Momente des Films. Aaron Maldonado-Morales stammt aus Berlin-Kreuzberg. Er lässt uns erkennen, wie wichtig es Sanchez ist, sich abzugrenzen und auch einmal, etwas anderes zu sehen, etwas anderes zu erleben, etwas anderes zu sein.
Vincent Wiemer kommt aus Bonn und hat bereits Theater gespielt. Er schafft das Kunststück, Julius zuerst ein Großmaul sein zu lassen, das uns auf die Nerven geht, nur damit wir später mitfühlen können, warum dieser Julius so ein nervendes Großmaul ist. Rapper*innen wie Juju, Luvre47, Lucio 101 und andere Laiendarsteller runden die Besetzung mit ihren unverfälschten, authentischen Darstellungen in Nebenrollen ab.
Fazit
Die Buchvorlage war ein Bestseller. Der Film verdient es mindestens ebenso erfolgreich zu sein. Ein gelungenes Drama übers Erwachsenenwerden unter schwersten Bedingungen.