Einige der Dialoge sind sehr gut geschrieben. Ein Karrierepolitiker bezieht sich auf „Der weiße Hai 2“ und liefert damit eine der besten Zeilen, die wir dieses Jahr im Kino hören werden. Natürlich darf der Killer am Ende ein bisschen zu viel und zu lang erzählen. Aber vieles von dem, was er sagt, klingt sehr viel besser als die üblichen Rechtfertigungsreden in vergleichbaren Filmen.
Und es sind vor allem die darstellerischen Leistungen, die den Film immer wieder übers Mittelmaß hinausheben. Relativ unbekannte Talente wie Jovan Adepo („The Stand“, „Watchmen“), Jason Cavalier („Death Wish“) oder Rosemary Dunsmore liefern mit ihren kompetenten Leistungen einen realistischen Hintergrund für die Hauptdarsteller*innen. Ralph Ineson, allen Fans des britischen Originals von „The Office“ wohlbekannt, überrascht mit einer ruhigen, zurückgenommenen Darstellung in einer kleinen, aber wichtigen Rolle.
Shailene Woodley hat mich bisher weder in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ noch in den viel zu vielen Teilen von „Die Bestimmung“ beindruckt. Aber wie sie hier gegen ein teilweise misslungenes Drehbuch anspielt und es trotzdem schafft, uns mit der Heldin mitfühlen, mitfiebern und mittrauern zu lassen, lässt hoffen, dass Woodleys beste Filme noch vor ihr liegen.
Der Star des Films ist Ben Mendelsohn. Wer den Australier bisher nur als Bösewicht aus Blockbustern wie „Rogue One: A Star Wars Story“ oder „Ready Player One“ kennt, hat einiges versäumt. Mendelsohn war großartig in der Musicalverfilmung „Cyrano“ und fantastisch in dem Drama „Land der Gewohnheiten“. Hier lässt er uns die Frustration eines hochintelligenten Mannes erfahren, der mit mächtigen Idioten arbeiten muss. Er vermittelt uns Schmerz, Angst und Enttäuschung seiner Figur. Mendelsohns mühelos hervorragende Leistung ist der Hauptgrund „Catch the Killer“ zu sehen. Wenn man das überhaupt kann ...
Weiter oben meinte ich, der Film hätte jetzt bereits kaum noch eine Chance, sein Publikum zu finden. Dieser Film wurde vor mehr als zwei Jahren, von Januar bis März 2021, unter dem (passenderen) Titel „Misanthrope“ gedreht. Erst im November 2022 wurde ein internationaler Verleih gefunden, der den Titel zu „To Catch a Killer“ änderte. Unter diesem Titel lief der Film bereits ohne nennenswerte Werbung und daher nur mit geringem Erfolg im April 2023 in einer ganzen Reihe von Ländern wie Israel, Russland, Frankreich, China und so weiter. Selbst in einigen Städten der USA ist der Film bereits im April gelaufen. Allerdings nicht überall in den USA. Fachleute nennen das „limited release“. Damit sollen finanzielle Verluste klein gehalten werden.
Seit April ist der Film in einem Dutzend weiterer Länder ohne jeden Werbeaufwand angelaufen: Argentinien, Ukraine, Indien, Australien, ... Sogar in Belgien konnte man den Film bereits im Kino sehen. Wenn man bloß wusste, dass er lief. Die Pressevorführung zu diesem Film fand Anfang Juli statt. In den deutschen Kinos soll er am 05. Oktober 2023 unter dem Titel „Catch the Killer“ anlaufen. Keine Ahnung, warum man „To Catch a Killer“ für Deutschland zu „Catch the Killer“ geändert hat. Ein gutes Zeichen ist diese Änderung sicher nicht; dadurch sind internationale Werbemittel nicht für den deutschen Markt zu verwenden.
Ich schreibe diese Zeilen Anfang Juli und weiß jetzt bereits, dass für diesen Film auch in Deutschland kein weiterer Werbeaufwand betrieben werden wird. Vielleicht wird man irgendwo in einem Kino einen Trailer sehen können. Vielleicht hängt in irgendeinem Schaukasten ein Plakat.
Ich bitte unsere Leser*innen, diesen Film im Kino zu sehen. Zum einen, weil wir alle ohnehin wieder öfter mal ins Kino gehen sollten. Lasst uns Freunde treffen oder den Film von mir aus auch mit lauter fremden Menschen sehen. Aber lasst uns ins Kino gehen. Zuhause sitzen können wir immer noch wenn wir alt und grau sind. Zum anderen muss das Publikum sich endlich dagegen wehren, Controller und Buchhalter darüber entscheiden zu lassen, welche Filme wir im Kino zu sehen bekommen. Regisseur, Drehbuchautoren, Darsteller*innen und sämtliche Mitwirkende haben nicht verdient, dass Erbsenzähler diesen Film bereits vor über einem Jahr abgeschrieben haben.