Ent-Täuschung
Es ist hinlänglich bekannt, Ingeborg Bachmann und Max Frisch wollten beide von Anfang an eine offene Beziehung führen, in der sexuelle Beziehungen mit anderen Partner*innen ausdrücklich erlaubt waren. Und sowohl Bachmann als auch Frisch hatten während der gesamten Zeit dieser Beziehung andere Sexpartner. Bachmanns Affäre mit Hans Magnus Enzensberger war nur die bekannteste, aber nicht die einzige während dieser Zeit. Wenn nichts davon im Film Erwähnung findet und die Beziehung im Film wegen einer flüchtigen Affäre Frischs ein Ende findet, hat das nichts mehr mit den tatsächlichen und längst bekannten Begebenheiten zu tun.
Wenn die Heldin in Ägypten Sex mit drei Männern gleichzeitig hat und danach „befreit“ in der Wüste herum hüpft wie eine Pauschaltouristin, die im Urlaub die Sau rauslässt, erweist die Filmemacherin dem Objekt ihrer Erzählung einen seltsamen Bärendienst. Wenn die Hauptfigur dabei laut verkündet: „Ich habe meine Rache gehabt an allen Biedermännern, denen ich geopfert habe“, muss man sich fragen, ob von Trotta diese Figur überhaupt verstanden hat. Ingeborg Bachmann hatte ganz andere Methoden, sich an Biedermännern zu rächen.
Ronald Zehrfeld hat in so unterschiedlichen Produktionen wie „Rico, Oscar und das Herzgebreche“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und vor allem in der kleinen, feinen und zu Unrecht recht unbekannten Fernsehserie „Warten auf’n Bus“ die enorme Bandbreite seines Könnens gezeigt. Aber Zehrfeld war mal DDR-Jugendmeister im Judo. Der Mann ist 190 cm groß und auch mit über vierzig (und einem Bäuchlein) hat er immer noch den Oberkörper und die Schultern eines Türstehers. Er darf Max Frisch darstellen, der mit seinem absolut durchschnittlichen Körperbau eher unscheinbar ausgesehen hat.
Ingeborg Bachmann wurde in Klagenfurt geboren und ist in Kärnten und Niederösterreich aufgewachsen. Im Internet findet man leicht Ausschnitte aus Lesungen und Interviews, die Bachmanns ganz besondere Art zu sprechen und ihren unverwechselbaren Akzent wiedergeben. Bachmanns Konsonanten klangen immer typisch österreichisch weich, die Vokale immer leicht gedehnt.
Hauptdarstellerin Vicky Krieps ist Luxemburgerin, ihre Mutter stammt aus Hannover. Und das hört man in jeder Szene des Films. Die Entfernung zwischen Klagenfurt und Luxemburg beträgt um die 900 Kilometer, die zwischen Niederösterreich und Hannover immer noch 700 Kilometer. Vicky Krieps hat für den Film sprachlich keinen einzigen Meter dieser Distanzen überbrückt.
Bei aller Verehrung für Ingeborg Bachmann will ich mich – anders als Margarethe von Trotta – an Bachmanns Maxime halten: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“. Und wahr ist, Ingeborg Bachmann war zwar eine ganz besondere Frau, aber von absolut durchschnittlicher äußerer Erscheinung. Ihr Gesicht war interessant, aber sicher nicht schön. Ihre Figur war schlank, aber nicht besonders weiblich. Auf den meisten Fotos trägt Bachmann vergleichsweise schlichte Kleidung.
Wenn die bildhübsche Vicky Krieps bei ihrer ersten Begegnung mit Max Frisch in einem rosa Abendkleid jeden Raum zum Leuchten bringt, wirkt das im Film natürlich ganz bezaubernd. Aber der Film erzählt dadurch leider bereits an dieser Stelle nicht mehr die Geschichte der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Hier begegnen einander nicht zwei große Geister und erkennen einander. Hier wird ein Kerl von einer bildschönen Elfe verzaubert und verfällt ihr.
Und es ist auch zauberhaft, Krieps und Zehrfeld zuzusehen, wie sie zwei verknallte Erwachsene darstellen. Derlei wird im Film viel zu selten realistisch gezeigt. Meistens wirkt es zuckersüß und ist für das Publikum kaum zu ertragen. Aber Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld zeigen uns echte, erwachsene, verliebte Menschen und zaubern sie uns in diesen Szenen ein Lächeln aufs Gesicht. Aber so nett das alles ist, der Wahrheit um die Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch bringt es uns kein bisschen näher.
Vicky Krieps zeigt uns nach ihrer Meisterleistung in „Corsage“ wieder mal eine brillante Darstellung einer schwierigen, historischen Frauenfigur. Aber wo sie in „Corsage“ zwar eine sicher komplett fiktive Version der Elisabeth von Österreich-Ungarn, aber doch immer noch eine Version dargestellt hat, sehen wir sie in diesem Film durchaus als hochintelligente, schwierige, interessante Frau, aber niemals als Ingeborg Bachmann.
Krieps ist als Ingeborg Bachmann eine der grandiosesten Fehlbesetzungen der Filmgeschichte. Sie spielt hervorragend, gar keine Frage. Tatsächlich empfiehlt sie sich mit diesem Film wieder als eine der besten Darstellerinnen komplexer Frauenfiguren, die es zurzeit im internationalen Film gibt. Aber Krieps sieht niemals wie Ingeborg Bachmann aus und klingt niemals wie sie. Und auch das verändert die Geschichte des Films so drastisch, dass sie einfach nicht mehr wahr ist. Und in einem Film über Ingeborg Bachmann darf nichts wichtiger sein als die Wahrheit.