Sie sehen beide fantastisch aus, sie scheinen keinerlei wirtschaftliche Sorgen zu haben (ernsthaft, das historische Cottage des jungen Paares muss mitsamt Grundstück einen siebenstelligen Wert haben), sie sind also auch beide erfolgreich in ihrem Beruf und haben trotzdem fast immer Zeit. Die Frau, die ein erfolgreiches Restaurant führt, schafft es im Film ein einziges Mal nicht, ihr Kind von der Schule abzuholen. Sollte sie tatsächlich zum ersten Mal in diese Situation gekommen sein? Eine Nanny oder andere Unterstützung bei der Kindererziehung bekommen wir im Film nie zu sehen. Das mag verwundern, weil die Welt dieses Films ausschließlich von Menschen bevölkert ist, deren Aufgabe es ist, den beiden Hauptfiguren das Leben einfacher zu machen.
Der Trainer, der die Heldin auf einen Wettkampf vorbereitet, ist kaum jemals ungeduldig und nie unzufrieden. Das andere Mitglied des Wettkampfteams zeigt ohnehin nur Verständnis und Unterstützung. Die Onkologin ist reizend und verteilt sogar Süßigkeiten. Tankstellenangestellte könnten nicht hilfsbereiter sein. Selbst das kleine Kind der beiden Hauptfiguren, taucht nur auf, wenn es für die Handlung erforderlich ist und fällt nie zur Last. In einem Leben, fast frei von negativen Erfahrungen, kann man wirklich leicht nett sein.
Gut, vor Einsetzen der Handlung musste Tobias eine Scheidung überstehen. Aber diese Scheidung ist für die Handlung erforderlich. Denn nur so kann er im Bademantel losziehen, um einen Stift zu kaufen, den er braucht, um die Scheidungspapiere unterschreiben zu können und nur so kann Almut Tobias mit dem Auto anfahren, um bei ihm zu sein, wenn er aus der Bewusstlosigkeit aufwacht, damit sie ihm zum Essen einladen und danach mit nach Hause nehmen kann, wo er sich selbst kurz vor dem Geschlechtsverkehr noch ebenso rücksichts- wie verantwortungsvoll zeigen kann, bevor es dann so richtig losgeht. Alles wirklich nett. Alles furchtbar originell und unterhaltsam.
It’s okay, not to be okay
Tut mir leid, ich kann nicht mehr. Ich weiß, es gibt viel mehr lächerliche Beispiele für „meet-cutes“ (den Moment in dem romantischer Held und Heldin aufeinander treffen) als wirklich gute. Es können sich leider nicht alle Paare im Zug nach Wien treffen. Nur selten hält ein Zug, damit ein weißer Jäger sein Elfenbein aufladen kann. Und nur wenige Reporter finden schlafende Prinzessinnen in historischen Altstädten. Man ist ja schon froh, wenn Buchhändler ihre Getränke über Hollywoodstars schütten. Aber meistens fallen „meet-cutes“ lächerlich aus, wenn Männlein und Weiblein gleichzeitig das letzte Paar Handschuhe kaufen wollen oder ein Millionär eine Bordsteinschwalbe, ... sorry, eine Sexarbeiterin nach dem Weg fragen muss.
Aber das „meet-cute“ in „We Live in Time“ ist nicht einfach nur lächerlich. Autor Nick Payne versucht so krampfhaft furchtbar originell zu sein, dass die Szene kein bisschen unterhaltsam gerät. Und das ist nicht die einzige Szene, in der Paynes Drang, furchtbar originell sein zu müssen, nichts zum Unterhaltungswert beiträgt. Alles muss unbedingt romantisch und/oder witzig sein. Also entbindet die Frau nicht im Krankenhaus sondern auf der Toilette einer Tankstelle. Also steht das vergessene Kind im strömenden Regen. Also hat der Mann einen Arbeitgeber, der als Material für Scherze über Verdauung taugt. Also ist das Paar sogar schlagfertig, wenn die Frau Wehen hat. Sogar die Geschichte, die ein Vater beim Essen erzählt, darf nicht einfach langweilig sein.
Die Inszenierung von John Crowley ist bei all dem nicht besonders hilfreich. Ja, alles sieht sehr hochwertig aus. Ja, alles ist schön anzusehen. Aber muss das Paar wirklich Karussell fahren, wenn der Krebs wiederkommt? Ist dieses Bild nicht ein wenig arg plump? Brauchen wir wirklich eine minutenlange Montage von wiederkehrenden Schwangerschaftstests, um den Kinderwunsch des Paares zu erkennen? Muss am Ende dieser Montage, wenn der Test endlich positiv ausfällt, die Musik wirklich so kitschig anschwellen? Und muss es am Austragungsort eines Kochwettbewerbs auch noch eine Eishalle geben, damit die Frau in den letzten Minuten des Films noch schnell zwei Lebensträumen hintereinander gerecht werden kann?
Manchmal wirkt es, als hätten die Macher dieses Films sich selbst die Aufgabe gestellt, die hochwertigste Schmonzette der Filmgeschichte zu drehen. Nicholas Sparks auf Steroiden! Jojo Moyes hoch zehn! Cecelia Ahern kann einpacken! Hallmark move over! Dazu passt auch die extrem hochwertige Besetzung. Die Nebenrollen dieses Films sind keine weitere Erwähnung wert. Sie sind reine Handlungselemente, bloße Erfüllungsgehilfen des Drehbuchs. Machen wir es wie die Macher des Films und konzentrieren wir uns nur auf Held und Heldin.
Andrew Garfield hat uns als erster gezeigt, dass „Spider-Man“ auch witzig sein kann und war großartig in Martin Scorseses‘ „Silence“. Natürlich ist er in „We Live in Time“ auch wieder sehr gut. Wieso auch nicht? Es ist ja nicht so. als hätte er einen echten Charakter zu spielen. Seine Figur hat praktisch keine Eigenschaften außer nett, witzig, liebevoll und immer hilfsbereit.
Florence Pugh hat sich in wenigen Jahren mit so unterschiedlichen Filmen wie “Midsommar”, „Black Widow“ oder „Oppenheimer“ als Darstellerin stetig weiter entwickelt und ist mittlerweile ganz zu Recht ein Star. Gemessen daran, wie furchtbar ihre Rolle geschrieben wurde, leistet sie in „We Live in Time“ Erstaunliches. Denn genau betrachtet ist diese Almut eine ziemlich hohle Figur, die zuweilen auch arg egozentrisch sein kann. Das alles überspielt Florence Pugh mit ihrem natürlichen Charme und ihrer jugendlichen Ausstrahlung.
Apropos „jugendliche Ausstrahlung“: Die Figur der Almut behauptet zu Beginn der Handlung, als sie Tobias kennenlernt, 34 Jahre alt zu sein. Am Ende des Films haben die beiden ein Kind, das schon die Schule besucht. Almut ist also den größten Teil des Films eine Krebspatientin in den Vierzigern. Florence Pugh ist gerade mal 28 Jahre alt und sieht aus wie 19 (tatsächlich sieht sie noch jünger aus, aber ich habe die Frau im Verlauf des Films so oft nackt gesehen, da will ich es nicht noch schräger machen). Wie eine Krebspatientin in den Vierzigern sieht sie während des gesamten Films kein einziges Mal aus.
Fazit
Hier wurde mit viel Aufwand, Sorgfalt und Kompetenz eine banale, vorhersehbare Schmonzette gedreht. Der Film mag eine der besten Schmonzetten aller Zeiten sein. Aber er ist und bleibt leider eine banale, vorhersehbare Schmonzette.