In “The Change” entscheidet ein Buch über das Schicksal einer Nation und am Ende auch über das einer Familie …
There is freedom within, there is freedom without, …
Ellen ist Professorin an der renommierten Georgetown University. Ihre Ehemann Paul hat ein erfolgreiches Restaurant in dem unter anderem politische Prominenz verkehrt. Zur Feier ihres 25. Hochzeitstages bringt Sohn Josh seine neue Partnerin Liz mit. Liz ist für Ellen keine Unbekannte, war diese doch einige Jahre zuvor ihre Studentin und hat radikale, demokratiefeindliche Thesen zu verbreiten versucht. Genau diese Thesen hat Liz mittlerweile in Buchform herausgebracht und das Buch entwickelt sich zu einem Beststeller. Aber das ist erst der Anfang …
Ich überlege gerade, ob ich erst mal eine Weile über „Don’t Dream It’s Over“ von Crowded House schreiben soll. Ich könnte wirklich eine Menge über dieses gleichermaßen wunderschöne und interessante Lied berichten. Immerhin ist es an mehreren Stellen in „The Change“ zu hören. Ich könnte aber auch erstmal über die von mir vorgebrachte Idee eines Themenschwerpunkts bei Arte mit dem Namen „Gut gemeint, aber schlecht gemacht“ schreiben. Vielleicht erinnern sich einzelne Leser*innen, unter diesem Motto könnte Arte Filme wie z.B. „Das Wunder von Marseille“, „Call Jane“, „Zeiten des Umbruchs“ und „Treasure“ zeigen, die mit den besten Intentionen gedreht, aber leider furchtbar misslungen sind. „The Change“ könnte diesen Schwerpunkt eröffnen.
Ich könnte mich auch wieder über dumme deutsche Verleihtitel mokieren. „The Change“ läuft außerhalb des deutschen Sprachraums unter dem Titel „Anniversary“, was Sinn ergibt, weil die Handlung des Films in unterschiedlichen Abständen immer wieder am Hochzeitstag von Ellen und Paul spielt. Aber das war dem deutschen Verleih wohl zu subtil und feinsinnig, also hat man als deutschen Verleihtitel den Titel des Buches gewählt, der im Film immer und immer wieder erwähnt wird. Ach was, warum es noch länger rauszögern? Legen wir los, …
„The Change“ (oder eben „Anniversary“) ist ein passabler Film, mit unterschiedlich guten Leistungen von Cast und Crew, einer nicht besonders subtilen Message und einem gigantischen Problem, das die Macher des Films weder lösen noch überwinden konnten und das anspruchsvolle Filmfans einfach nicht ignorieren können. Dieses Problem ist das Drehbuch des Films.
Dieses Drehbuch stammt von einer Autorin namens Lori Rosene-Gambino. Der Name war mir bisher komplett unbekannt. Und nachdem ich „The Change“ gesehen habe, hätte ich vermutet Lori Rosene-Gambino könnte vielleicht 15 oder 16, höchstens 17 Jahre alt sein. Denn was sie hier verfasst hat, entspricht dem was begeisterte Gymnasiast*innen verfassen, nachdem sie unter dem Eindruck einiger mit Freunden besuchter Vorträge und einiger quergelesener Bücher (heute wohl eher: einiger YouTube-Videos und TikToks ) angefangen haben, sowas wie ein politisches Bewusstsein zu entwickeln.
Ich gebe zu, dafür hätte ich sogar tief empfundene Sympathien gehegt. Der Verfasser dieser Zeilen war selbst einmal ein unreifer Teenager voller Ideale und Träume, ohne echten Realitätsbezug und von noch extrem ungeschliffenem Talent. Ich hätte mich zwar gefragt, warum ein Filmstudios Geld für die Verfilmung unausgereifter, politischer Gymnasiasten-Prosa locker gemacht hat, aber ich hätte dafür Sympathien hegen können.
Im Netz finden sich nur wenige Informationen über die Autorin Lori Rosene-Gambino. Aber laut ihrem linkedin-Profil ist sie seit dem 2000, also seit 25 Jahren, „Screen Writer“ (und das obwohl laut imdb bisher nur ein Kurzfilm von ihr verfilmt wurde). Und auch wenn ich nicht uncharmant sein will, zeigt das Profilbild doch eine Dame, die das Gymnasium bzw. die High School sicher schon im letzten Jahrtausend abgeschlossen haben muss. Dieses Drehbuch ist also gar kein Fall unausgereifter, politischer Gymnasiasten-Prosa, sondern einfach nur der größte Unsinn, der in letzter Zeit für das Kino verfilmt wurde.
In the paper today, tales of war and of waste
Lori Rosene-Gambino behandelt in ihrem Drehbuch mit dem Aufstieg der als (Wirtschafts-)Liberalismus getarnten Rechten, der ewigen Opferrolle von Populisten, zunehmender stattlicher Kontrolle und der Spaltung unserer Gesellschaft am Beispiel einer Familie einige der interessantesten und brandaktuellsten Themen unserer Zeit. Leider schafft sie es nicht auch nur einem einzigen dieser Themen halbwegs gerecht zu werden.
Wie erwähnt, weiß ich wenig über die Autorin. Ihr Drehbuch wirkt aber in einem Maße unreif, das schon an dämlich grenzt. Nicht nur beschreibt sie eine Welt in der alles nur schwarz oder weiß, gut oder böse ist. Lori Rosene-Gambino hat offensichtlich keine Ahnung wie das Leben, das Universum und der ganze Rest tatsächlich funktionieren.
Je länger die Handlung fortschreitet, umso weniger funktioniert sie. Schon zu Beginn feiert das Paar den 25. Hochzeitstag, drei der vier Kinder sind aber offensichtlich deutlich älter als Anfang Zwanzig. Na gut, sind sie eben bereits vor der Hochzeit geboren worden. Nein, im Dialog wird klargestellt, die älteste Tochter ist ein Jahr nach der Hochzeit geboren. Die ist also mit gerade mal 24 bereits fertige Rechtsanwältin, was auch in den USA mit 4 Jahren College, mindestens 4 Jahren Jurastudium und anschließendem Referendariat rechnerisch gar nicht möglich ist.
Ein junger Mann verliebt sich und ändert daraufhin seine komplette Persönlichkeit. Naja, sowas kommt schon mal vor, funktioniert in der Regel aber anders als in diesem Film. Eine der Figuren ist eine erfolgreiche Comedienne. Das muss uns im Dialog erläutert werden, denn diese Figur gibt nichts von sich, über das man lachen könnte. Jemand schreibt ein Buch, das innerhalb weniger Jahre die Grundlage für eine neue Staatsform bildet, hat aber bis zuletzt keine offizielle Regierungsfunktion inne und daher in entscheidenden Szenen weder Entourage noch Leibwächter um sich. Eine andere Figur kann an ihrem allerersten Arbeitstag bereits einen Sprengsatz in die wichtigste Einrichtung eines totalitären Regimes bringen.
Ganz oben auf der langen Liste von Dingen, von denen Lori Rosene-Gambino offensichtlich keine Ahnung hat, wie sie funktionieren, stehen sicher Menschen. Bereits zu Beginn des Films wundert man sich, aus was für unsympathischen, dummen Arschgeigen diese Familie besteht und wie wir als Publikum uns für ihre Schicksale interessieren sollen. Alle gehen ständig nur feindselig miteinander um. Da soll uns der Zerfall dieser Familie kümmern?
Abgesehen von einer einzigen Figur, wird uns nicht nur niemand in diesem Film sympathisch, wir können einfach nichts nachvollziehen. Je länger der Film dauert, umso mehr gehen einem die Charaktere und alles was sie tun und sagen bloß noch auf die Nerven. Eine Figur verachtet die Eltern dafür, dass diese sie vor dem Gefängnis bewahren. Wenn eine andere Figur vermisst wird, hofft man schon, sie möge verschollen bleiben. Leider taucht sie zum dümmstmöglichen Zeitpunkt auf noch dümmere Art und Weise wieder auf. Und das totalitäre Regime agiert ganz allgemein dümmer als das in „Team America: World Police“.
Bei einem solchen Drehbuch gibt es für die anderen Beteiligten am Film nichts mehr zu gewinnen. Der polnische Regisseur Jan Komasa hat 2019 mit dem kraftvollen „Corpus Christi“ absolut zu Recht internationales Aufsehen erregt. In seinem ersten englischsprachigen Film wirkt seine Regie kompetent, aber uninspiriert.
You know, they won’t win
Die Schauspieler*innen bemühen sich in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichem Erfolg. Die Darstellung der jungen Phoebe Dynevor kann nie die Wirkung entfalten, die ihre wichtige Figur der Liz bräuchte. Das Drehbuch gönnt ihr zwei interessante Szenen zu Beginn des Films und scheint sie dann bis zum Ende vergessen zu haben. Diane Lane scheitert an der Darstellung einer Frau, die viel zu intelligent sein müsste, um so dumm zu agieren wie sie es tut.
McKenna Grace („Begabt“) sahen wir zuletzt in „All das Ungesagte zwischen uns“. Die junge Frau muss dringend lernen, Drehbücher zu lesen, bevor sie Verträge unterschreibt. Da ich Serien wie „The Handmaid’s Tale“ ignoriere, kann ich nicht verlässlich berichten, ob Madeline Brewer eine miese, unsympathische Schauspielerin ist oder ob sie hier einfach nicht gegen ihre miese, unsympathische Rolle anspielen konnte. Zoey Deutch habe ich in unterschiedlichen Filmen wie zum Beispiel „Zombieland 2“ und „Juror #2“ gesehen. So überfordert wie hier, wirkte sie noch nie.
Dylan O’Brien hat sich in den „Maze Runner“-Filmen immer tapfer geschlagen. Filme wie „American Assassin“ oder „The Outfit“ brachten seine Karriere aber nicht weiter. Seine platte, eintönige Leistung in „The Change“ wird hier auch nicht helfen. Der Ire Daryl McCormack konnte in „The Lesson“ neben Richard E. Grant und Julie Delpy einen starken Eindruck hinterlassen. Hier hinterlässt er gar keinen Eindruck. Nicht einmal einen schwachen.
Kyle Chandler überzeugt seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder in Nebenrollen in so unterschiedlichen Filmen wie „King Kong“, „Super 8“ oder „The Wolf of Wall Street“. Irgendwie schafft er es, als einziger in diesem Film so etwas ähnliches wie einen echten Menschen darzustellen. Retten kann er diesen missglückten Versuch eines politischen Dramas aber natürlich auch nicht.
Fazit
Sowie im Film, eine Nation und eine Familie von einem Buch ins Verderben gestürzt werden, so stürzt das Drehbuch zu „The Chance“ den ganzen Film ins Verderben. Gut gemeint, aber leider sehr schlecht gemacht, ergibt hier einen der misslungensten Filme des Jahres.