Isn’t it obvious?
Leider liefern sowohl Drehbuch als auch Regie zu viele furchtbare Ideen und üble Fehlentscheidungen. Die gesamte Nebenhandlung mit einem Suchtproblem, einem weiteren gesundheitlichen Problem und einem Jugendtrauma der Hauptfigur ist nicht nur überflüssig, sie stört sogar. Dieser Film bietet auch ohne all das bereits genug Drama. Durch noch mehr Drama wird er nicht dramatischer. Wenn nichts von alldem aufgelöst wird, bleibt der Betrachter ratlos zurück. Hatte das Suchtproblem mit dem gesundheitlichen Problem zu tun? Hatte das eine das andere bedingt? Wie lange war die Figur schon süchtig? Sollen wir annehmen, das Jugendtrauma hätte die Sucht bedingt? Was sollte das alles? Und wozu?
Und was soll diese wirklich furchtbar plumpe Filmmusik von Trent Reznor und Atticus Ross? Die beiden sind begabte Musiker, deren Musik zu so unterschiedlichen Streifen wie „Gone Girl“, „Bird Box“ oder „Empire of Light“ sicher nicht jeweils das Beste an diesen Filmen war, aber doch nie störend aufgefallen ist. An mehr als einer Stelle von „After the Hunt“ wirkt die Musikuntermalung nicht nur plump und aufdringlich sondern regelrecht manipulativ. Wieso möchte man mehr als einmal den Komponisten zurufen, „Ja, ich habe verstanden! Es ist gerade dramatisch! Danke!“?
Und wieso sehen wir in „After the Hunt“ die Hauptfigur in fast jeder einzelnen Szene und bekommen so den Film also aus ihrer Perspektive erzählt, wenn nach knapp 90 Minuten eine einzige Szene ohne diese Hauptfigur rein gar nichts zur Handlung und zum Verständnis des Films oder einer seiner Figuren beiträgt? Diese eine, einzige Szene ohne die Hauptfigur stört mit ihrer Überflüssigkeit den Fluss der Erzählung und bringt einen zu dem Zeitpunkt ohnehin bereits etwas unausgewogenen Film gefährlich ins Wanken.
Die allgemeine Unausgewogenheit setzt sich leider auch in den Leistungen der Darsteller*innen fort. Denn wo der stets verlässliche Michael Stuhlbarg das Kunststück einer unspektakulären Meisterleistung vollbringt, wirkt die junge Ayo Edebiri noch ein bisschen selbstgefälliger und bequemer als es ihre Rolle ohnehin von ihr verlangt. Stuhlbarg macht, was er am besten kann und in vielen Filmen wie zuletzt „Bones and All“ und „The Instigators“ schon so oft gezeigt hat: in wenigen Szenen vermittelt er in einer Nebenrolle nicht einfach nur einen komplexen Charakter, sondern ein ganzes Leben. Ayo Edebiri, bekannt u.a. aus der TV-Serie „The Bear“, schafft es leider nie, auch für ihre Figur Sympathie oder wenigstens Verständnis zu wecken. Unter anderem deshalb kippt der Film zuweilen in die Einseitigkeit.
Aber man will Ayo Edebiri daraus keinen Vorwurf machen, muss sie doch unter anderem gegen den Darsteller anspielen, der diesen Film vor dem künstlerischen Scheitern bewahrt und sehenswert macht. Nur wenigen Darsteller*innen gelingt es jemals, einen ganzen Menschen darzustellen. Noch seltener gelingt das Kunststück, das Andrew Garfield hier vorführt, einen Menschen in seiner ganzen Menschlichkeit, mit all ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz darzustellen. Wie so viele echte Menschen ist sein Hank gleichzeitig cool und impulsiv, aufmerksam und egozentrisch, brillant und strohdumm, offen, modern und doch voreingenommen, … all diese Gegensätze vermittelt Andrew Garfield mühelos und zeigt nicht nur eine der besten sondern auch menschlichsten Darstellungen dieses Jahres.
Von „mühelos“ kann bei Julia Roberts keine Rede sein. Ihr sieht man die Mühe an, die ihr die Aufgabe bereitet, eine intelligente Frau mit gravierenden Problemen nachvollziehbar darzustellen. Roberts konnte während der ersten Hälfte ihrer Karriere mit ihrem Grinsen und ihrer Mähne davon ablenken, was für eine bestenfalls passable Darstellerin sie immer war. Ihr Oscar für „Erin Brockovich“ steht auf einer der obersten Plätze der langen Liste von unverdienten Oscars (im selben Jahr war u.a. Ellen Burstyn für „Requiem for a Dream“ nominiert, für eine Leistung wie man sie nur alle paar Jahrzehnte auf der Leinwand zu sehen bekommt).
Seither hat Roberts ihre Darstellungskunst leider nicht wirklich weiter entwickeln können. Und so sieht man Ihr die Mühe an, die sie mit der Darstellung dieser schwierigen Figur in diesem schwierigen Film hat. Aber irgendwie überträgt sich die Überforderung der Darstellerin Julia Roberts auf die Überforderung der von ihr dargestellten Figur und lässt die Darstellung nicht immer aber doch im Großen und Ganzen halbwegs funktionieren, so wie dieser ganze Film am Ende nicht immer aber doch im Großen und Ganzen halbwegs funktioniert.