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Kritik: Anemone

 
sub kritik
 
Autor: Christopher Diekhaus
 
Ein Schauspielgigant ist wieder da! Für das Regiedebüt seines Sohnes kehrt Daniel Day-Lewis auf die große Bühne zurück, die er 2017 vermeintlich für immer verlassen hatte.
 
Von Vätern und Söhnen
 
Der Mann ist ein Mysterium – in mehrfacher Hinsicht. Über sein Privatleben gibt Daniel Day-Lewis wenig preis. Bis zu seinem Rückzug aus dem Filmgeschäft nach „Der seidene Faden“ war er bei seiner Rollenwahl sehr wählerisch, drehte nur extrem selten. Und doch schaffte er es bei nicht einmal zwei Dutzend Kinoengagements, drei Mal den Oscar als bester Hauptdarsteller zu erringen – was bislang keinem anderen Kollegen gelang. Legendär sind zudem seine akribische Vorbereitung und das vollständige Abtauchen in die zu verkörpernden Figuren. Der in London geborene Charaktermime ist einer der ganz Großen seines Fachs, weshalb man sich freuen kann, dass er nun ins Rampenlicht zurückkehrt.
 
Dass dieses Comeback anlässlich des Regiedebüts seines Juniors Ronan Day-Lewis stattfindet, für das die beiden zusammen auch das Drehbuch schrieben, passt wie die Faust aufs Auge. Geht es in dem Familiendrama doch um das Verhältnis von Vätern und Söhnen, das toxische Erbe, das von einer Generation zur nächsten weitergereicht wird. Bei der Kritik kam „Anemome“ nur mäßig weg. Trotz unübersehbarer Macken hat der Film aber auch seine unbestreitbaren Stärken – darunter einen gewohnt charismatischen Daniel Day-Lewis.
 
Los geht es betont enigmatisch: Jem Stoker (Sean Bean) verabschiedet sich von seiner Frau Nessa (Samantha Morton) und seinem Sohn Brian (Samuel Bottemley), um etwas Wichtiges zu erledigen. Mit dem Motorrad geht es raus aufs Land. In einem dichten Wald schleicht er schließlich umher bis zu einer einsam gelegenen Hütte, in der ein Einsiedler namens Ray (Day-Lewis) haust. Was verbindet die beiden Männer? Führt Jem etwas im Schilde? Hat er mit Ray vielleicht eine Rechnung zu begleichen?
 
 
Fragen über Fragen, zunächst großes Schweigen, als sie sich gegenübersitzen. Dann die Auflösung: Sie sind Brüder, Veteranen des Nordirlandkonfliktes. Der Grund für Jems plötzliches Auftauchen: Brian, eigentlich Rays Sohn, steckt in Schwierigkeiten, und Nessa, früher Rays Gattin, bittet den Eremiten, in die Zivilisation zurückzukehren. Erst einmal gibt es jedoch einiges aufzuarbeiten.
 
Familiendrama mit Mystery-Touch
 
„Anemone“ ist sicherlich eine nicht ganz ausgereifte Kinoarbeit. Einerseits gibt es längere Passagen ohne Worte. Dann wieder kippt der Film stark ins Dialog- bzw. Monologlastige. Das Grundgerüst bildet ein Drama, das handfeste Traumata – Gewalterfahrungen durch den Vater der Geschwister, schmerzhafte Kriegserlebnisse und Missbrauch durch einen Geistlichen – verhandelt. Andererseits scheinen aber auch fast übernatürliche Kräfte am Werk zu sein. Zumindest flirtet die von Ben Fordesman verantwortete Kamera wiederholt mit dem Mysteriösen, lädt Naturbilder gerne mit einer gruseligen Aura auf. Nicht von ungefähr blicken wir mehrfach aus einer gottgleichen Perspektive auf das Geschehen. Stehen womöglich höhere Mächte einer Annäherung im Weg? Oder bereiten gerade sie den Boden für eine familiäre Zusammenführung?
 
Einige inszenatorische Einfälle sind brillant – etwa der Blick in die plötzlich der Länge nach aufgeschnittene Hütte, in der Ray und Jem in Zeitlupe völlig losgelöst zu tanzen beginnen. Ein Moment der Befreiung, den es nach schmerzhaften Gesprächen dringend braucht. Andere gestalterische Entscheidungen wiederum lassen einen ein wenig ratlos zurück, wirken willkürlich gewählt. Der Regisseur Ronan Day-Lewis hat Talent, keine Frage, ist aber offensichtlich noch in der Findungsphase. Wer will es ihm verdenken!?
 
Das Zusammenspiel zwischen Daniel Day-Lewis und Sean Bean überzeugt, wobei sich Letzterer spürbar zurücknimmt. Die Bühne gehört vor allem dem Rückkehrer, der für sein Alter – während des Drehs war er 67 – noch verdammt drahtig und fit aussieht. Das Wichtigste: Seine magnetische Präsenz hat der dreifache Oscar-Gewinner nicht verloren. Selbst dann, wenn er wie hier in den ersten 15 Minuten fast nur von hinten zu sehen ist, besitzt er eine bemerkenswerte Ausstrahlung. Sein darstellerisches Können zeigt sich freilich auch in den wortreichen Momenten. Zum Beispiel, als er eine irrwitzige Begegnung seiner Figur mit ihrem früheren Kirchenpeiniger schildert. Belustigung, Hass und eine tiefsitzende Verletzung wechseln sich an dieser Stelle auf eindringliche Weise ab.
 
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Während im Falle Rays ein aufregendes Psychogramm entsteht, hätte man sich eine etwas plastischere Zeichnung bei Brian gewünscht. Immerhin spielt der durch seine Familiengeschichte geprägte, aus der Bahn geworfene junge Mann eine wesentliche Rolle für die Handlung. Ob man diese unbedingt auf zwei Stunden auswalzen muss, ist fraglich. So viel zu sagen, wie behauptet, hat sie nämlich dann auch wieder nicht.
 
Fazit
 
Daniel Day-Lewis‘ Rücktritt vom Rücktritt ist eine tolle Sache. Sein Sohn versteht es, einnehmende Bilder zu erschaffen. Manche Rädchen in diesem Debütwerk wollen aber einfach nicht richtig ineinandergreifen.
 
 
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