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Kritik: The Substance

sub kritik
 
Autor: Christopher Diekhaus
 
Blutig und sarkastisch: Coralie Fargeat haut in ihrem zweiten abendfüllenden Spielfilm ordentlich auf den Putz. Mittendrin: eine famose Demi Moore.
 
Verblasster Ruhm
 
Dass sie Zurückhaltung nicht unbedingt bevorzugt, ließ die Französin Coralie Fargeat bereits in ihrem Debütwerk „Revenge“ (2017) durchblicken. Der Titel ist hier Programm und verweist auf ein in den 1970er-Jahren erblühendes Thriller-Subgenre, das nicht den besten Ruf genießt. Unter dem Begriff Rape-and-Revenge-Film fasst man Arbeiten zusammen, in denen zu Beginn meistens Frauen brutal vergewaltigt werden. Sie oder ihnen nahestehende Menschen rächen sich später auf nicht weniger barbarische Weise.
 
Kritiker prangerten schon damals die oft genüssliche Inszenierung der handlungsauslösenden Taten an. Ein Vorwurf, der mit Blick auf zahlreicher Vertreter leider absolut berechtigt ist. In ihrem poppig arrangierten, stylischen Erstling spielt Fargeat geschickt mit den Konventionen dieser Spannungsunterart und wirbelt lustvoll filmische Geschlechtszuschreibungen durcheinander. Ihr Reißer mag nicht sehr glaubwürdig sein, liefert aber einprägsame Bilder und erzeugt eine fiebrig-packende Stimmung.
 
Ähnliches kann man nun auch über „The Substance“ sagen. Ein stark satirisch eingefärbtes Bodyhorrordrama, das die Film- und Fernsehwelt als ein inhumanes, vor allem Frauen degradierendes und zerstörendes System beschreibt. Besonders macht den Genre-Mix schon das Mitwirken Demi Moores, die in den letzten Jahren im großen Hollywood-Zirkus im Grunde nicht mehr stattfand. Nach der Premiere in Cannes feierte die Presse vor allem ihre Rückkehr ins Rampenlicht. Und in der Tat: Die Darbietung der US-Schauspielerin zählt zu den absoluten Highlights von Fargeats neuem Leinwandprojekt.
 
 
Ihr Gesicht leiht Moore der fiktiven Oscar-Preisträgerin Elisabeth Sparkle, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hat, wie uns eine wunderbar komprimierte, das ganze Dilemma auf den Punkt bringende Montage zum Einstieg vor Augen führt: Ihr Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood ist zunächst Anlaufpunkt für viele Fans, verwittert jedoch mehr und mehr, zieht immer weniger Leute an und wird dann von einem fetten Ketchupkleks bedeckt. Die rote „Verzierung“ ist auch ein Hinweis darauf, dass Sparkles Geschichte blutig werden wird.
 
Vom einstigen Ruhm kann Elisabeth nur noch träumen. Als Gesicht einer Aerobic-Sendung im Fernsehen – Jane Fonda lässt grüßen – ist sie aus der Öffentlichkeit aber noch nicht verschwunden. Ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag kommt es allerdings knüppeldick. Ihr Produzent, den Dennis Quaid geradezu dämonisch verkörpert, will den angeblich fallenden Quoten entgegensteuern und setzt sie einfach vor die Tür. Eine Jüngere muss her. Basta! Unter dem Eindruck des Schocks baut die Ausgebootete kurz darauf einen Unfall und hört bei der Versorgung ihrer Verletzungen vom titelgebenden Wundermittel. Der Clou: Wer es nimmt, erhält eine perfektere, schönere Version seiner selbst.
 
Jung gegen Alt
 
Der Ex-Kinostar wird nach kurzem Zögern schwach, besorgt sich bei einer an obskure Orte führenden Schnitzeljagd die angepriesene, nicht offiziell anerkannte Substanz und setzt sich zu Hause die erste Spritze. Genau an dieser Stelle verlässt die auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseurin den Boden der Realität. Was folgt, müssen wir einfach akzeptieren, wenn wir weiter dabeibleiben wollen.
 
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Aus Elisabeths Rücken platzt nämlich plötzlich ein jüngeres Ich, das die am anderen Körper entstandene Wunde sorgsam vernäht Sue (Margaret Qualley), so der Name des frischgeborenen Alter Egos, nimmt am Casting für den freigewordenen Moderationsplatz teil, bekommt den Job – und schlägt ein wie eine Bombe. Elisabeth liegt derweil im Badezimmer und wird durch einen in ihren Leib gepumpten Saft am Leben gehalten. Warum? Weil die beiden Frauen ihre Rollen nach sieben Tagen wieder tauschen müssen. Dann geht Sue auf Tauchstation, während die einstige Leinwandkönigin den Alltag bestreiten darf. Im Anschluss ist es wieder umgekehrt. Und so weiter und so fort.
 
Wie man es aus anderen Geschichten kennt, die mit dem Doppelgängermotiv hantieren, stellt sich alsbald eine Konkurrenzsituation ein. Elisabeth neidet Sue den Erfolg, und die Frischzellenversion will ihre Zeitabschnitte um jeden Preis verlängern, was – davor wird mehrfach gewarnt – ernsthafte Komplikationen zur Folge hat.
 
Worum es Coralie Fargeat in erster Linie geht, ist nicht zu übersehen: Aufspießen will sie in „The Substance“ den in der Unterhaltungsindustrie grassierenden Jugend- und Schönheitswahn und die dort bis heute um sich greifende Objektivierung von Frauen. Quaids Produzent ist ein grauenhafter Sexist, ein Lustmolch, dem die Kamera ständig ganz dicht auf die Pelle rückt und den sie dabei der Lächerlichkeit preisgibt. Alles andere als ein schöner Anblick ist es beispielsweise, wenn sein Gesicht die Leinwand füllt und wir dabei zusehen müssen, wie er sich schmatzend einen Schrimp nach dem nächsten in den Mund schiebt.
 
Ebenso aufs Korn nimmt die Regisseurin den weiblichen Selbsthass, der aus dem patriarchalen System erwächst. Weil Elisabeth eingeredet wird, dass sie alt und nicht mehr fernsehtauglich sei, verliert sie den Glauben an sich und reagiert geradezu angewidert auf ihr Bild im Spiegel. Nicht nur, aber besonders in diesen Szenen spielt Demi Moore groß auf, wirft sich so schonungslos in ihre Rolle, dass es beinahe schon schmerzhaft ist. Im Hinterkopf schwingt permanent ihr eigener Werdegang mit.
 
Beruflicher Erfolg, Glamour, Schönheitsoperationen und ein Verschwinden aus der ersten Reihe Hollywoods – irgendwie scheint „The Substance“ auch ein wenig die Geschichte der Hauptdarstellerin zu erzählen.
 
Moores eindringliche Performance, die von Margaret Qualleys charismatischer Interpretation gut ergänzt wird, kann die Schwächen des Films allerdings nicht übertünchen. Der gewollt ins Absurde kippende, sich nicht gerade subtil gebende Albtraum reitet auf manchen Punkten zu sehr herum, gewinnt seinem Thema keine wirklich neuen Erkenntnisse ab und hätte hinten raus eine Straffung benötigt. Dass man dennoch regelmäßig staunend dasitzt, hat gute Gründe. Fargeat setzt Farben, Klänge und Perspektiven wirkungsvoll ein, lässt die Welt ständig aus den Fugen geraten, findet für ihre grotesk eskalierende Erzählung Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen. David Cronenberg, John Carpenter und Brian De Palma werden mehr oder weniger offensichtlich zitiert. Und doch ist „The Substance“ ein ganz eigenes Biest von einem Film. Seine Schöpferin muss man auf dem Zettel haben. Ohne Wenn und Aber!
 
Fazit
 
Inhaltlich ist die Showgeschäft-Horrorsatire etwas schwach auf der Brust, audiovisuell und darstellerisch reißt sie allerdings in vielen Momenten mit.
 
 
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