Wenn der Film davon abgesehen funktionieren würde, könnte man über solche Logikfehler hinwegsehen. Weil aber auch sonst vieles an „28 Years Later“ nicht stimmig ist, kann man nicht mehr ignorieren, dass niemand, der in einer Welt lebt, in dem das letzte Päckchen Waschpulver vor 28 Jahren produziert wurde, sich mit dreckigen Schuhen aufs Bett legen würde. Und ein wichtiger Vorteil von Pfeil und Bogen gegenüber Feuerwaffen würde in der Wiederverwendbarkeit der Geschosse bestehen. Dazu müsste man sich aber die Mühe machen, Pfeile wieder aus den Kadavern zu ziehen. Und in einer Kolonie, die den Friedhof an einer Stelle des Strandes anlegt, die bei Ebbe (!) zwei Meter von der Wasserlinie entfernt liegt, hat man wohl weder das Prinzip der Erdbestattung noch die Grundlagen der Physik verstanden.
There's no discharge in the war!
Die Dialoge sind eine weitere Schwäche des Films. Natürlich wird zu vieles erklärt, das den Protagonisten längst bekannt sein müsste. Daran muss man sich im Kino des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts gewöhnt haben. Hier aber werden Dialoge geführt, die nicht nur unnötig, sondern für die Figuren belastend oder sogar verstörend sind. Dafür verheimlicht man einander Essentielles. Irgendwann mittendrin muss der arme Ralph Fiennes ein Wortspiel mit einem berühmten Shakespeare-Zitat abliefern, das nicht einmal halbwegs witzig genug ist, um seine umständliche und aufwendige Vorbereitung und Einleitung zu rechtfertigen.
Aber das Drehbuch liefert nicht nur zu viel Dialog. Es liefert von vielem zu viel. Der erste Film der Serie war der erste Zombiefilm, der auch als Drama funktioniert hat, weil damals normale Menschen nachvollziehbar auf eine nicht komplett unmögliche Bedrohung reagiert haben. „28 Years Later“ (also für uns gerade mal 23 Jahre später) gibt es nun sogenannte „Alphas“, kaum zu besiegende Superzombies. Die haben einen Trick drauf, bei dem sie gesunden Menschen den Kopf auf eine ganz spezielle Art und Weise abreißen, sodass die Wirbelsäule am Schädel hängen bleibt, die Rippen oder andere Teile des Rumpfes aber nicht mehr mit dem Rückgrat verbunden sind. Das klingt nicht nur wie etwas aus einem eher bedenklichen Computerspiel, es sieht im Film auch genauso aus.
Je weniger wir über eine „Mütter haben eine Verbindung zueinander und stehen einander bei“-Szene reden oder nachdenken, umso besser. Eine wichtige Figur des Films muss vor dem Ausbruch des Virus mal im Beinhaus von Sedlec in Tschechien gewesen sein und der Besuch muss einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Bereits vor der Schlussszene muss man sich wundern, wie vieles an diesem Film ganz unverschämt auf eine (oder mehrere) Fortsetzung(en) hinweist. Wer will wetten, dass es bis zum nächsten Film keine 18 Jahre dauern wird?
Am Ende ist es beinahe schade um die Mühe, die sich nicht nur Regisseur Danny Doyle gemacht hat. Auch die wirklich hervorragende Arbeit von Boyles Stamm-Kameramann Anthony Dod Mantle (Oscar für „Slumdog Millionär“) und Cutter Jon Harris (u.a. „127 Hours“ und „Yesterday“) geht im Unsinn des Drehbuchs fast ebenso unter, wie die Leistungen der Darsteller*innen.
Jodie Comer („Free Guy“) quält sich und uns durch eine Rolle in der sie abwechselnd schwer verwirrt und dann doch wieder extrem präsent agieren muss, je nachdem was das Drehbuch gerade verlangt. Der arme Aaron Taylor-Johnson muss nach „Bullett Train“ und „Kraven – The Hunter“ zum dritten Mal eine Rolle spielen, für die er sowohl zu intelligent als auch zu gut ist. Hoffentlich gibt ihm bald mal jemand wirklich die Rolle des James Bond, bevor er zu alt dafür wird.
Ralph Fiennes ist einer der besten Darsteller unserer Zeit. Das hat er nicht nur in seinen vielen schwierigen Rollen, von „Schindlers Liste“ bis zuletzt „Konklave“ gezeigt. Was für ein großartiger Schauspieler Fiennes ist, kann man auch daran erkennen, dass er es immer wieder geschafft hat, seine wirklich lächerliche Rolle in diesem Film zu spielen, ohne ständig laut loszulachen.
Der Star des Films ist aber der junge, noch unbekannte Alfie Williams. Regisseur Danny Boyle hat bereits bei „Slumdog Millionär“ gezeigt, wie gut er Kinderschauspieler*innen auswählen und mit ihnen arbeiten kann. Alfie Williams zeigt eine beeindruckende Leistung, in einer Rolle, die auch nicht unbelastet von Alex Garlands schlampiger Drehbucharbeit geblieben ist.