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Kritik: Quiet Life

sub kritik
 
Autor: Walter Hummer
 
Die Flüchtlingskrise stellt eine der schwierigsten Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar. Ein neuer Film, der einen ganz speziellen Aspekt dieses Themas zeigt, macht es uns auch nicht leicht …
 
Schweden 2018
 
Nachdem er und seine Familie wegen seiner politischen Aktivitäten in Russland nicht mehr sicher waren, leben Sergei, seine Frau Natalia und seine beiden Töchter Alina und Katja in einer Einrichtung für Asylsuchende in Schweden. Nach einer ersten Ablehnung des Asylantrags, wird die kleine Katja plötzlich krank. Der Druck auf die Familie wächst. Von außen wie innen. Vor allem der Druck auf die ältere Schwester Alina …
 
„Quiet Life“ bietet vieles, was den anspruchsvollen Filmfan ansprechen muss. Das enorm wichtige, berührende Thema wurde nicht bereits in Dutzenden anderer Filme behandelt. Regisseur und Co-Autor Alexandros Avranas wählt einen ganz eigenen, originellen Ansatz uns mit diesem noch wenig bekannten, aber doch relevantem Thema vertraut zu machen. Die Inszenierung lässt ein aufmerksames Auge und viele gute Ideen erkennen. Und das Schicksal der Protagonisten berührt uns tief. Aber einiges an diesem Film funktioniert leider nicht.
 
Obwohl das sogenannte „Resignation-Syndrom“ bereits in den 1990er-Jahren in Schweden bei Flüchtlingskindern vom Balkan beobachtet wurde, werden die meisten von uns bisher noch nichts davon gehört oder gelesen haben. Trotzdem zeigen alleine in Schweden jährlich eine dreistellige Zahl an Flüchtlingskindern Symptome in unterschiedlicher Ausprägung: Anzeichen von Depression. Manche reagieren nur noch apathisch und lethargisch. Andere verweigern die Nahrung sodass sie künstlich ernährt werden müssen. Besonders schwere Fälle verfallen in einen komatösen Zustand. Der Zustand bessert sich meistens erst, wenn die Lebensumstände sich positiv verändern.
 
 
Wenn sich der griechische Filmemacher Alexandros Avranas dieses besonderen und schwierigen Themas annimmt, um es einem breiteren Publikum nahe zu bringen ist das großartig. Wenn er seinen Film im Stil eines dystopischen, gesellschaftskritischen Science-Fiction-Films gestaltet, ist das ebenso mutig wie originell. Die visuelle Gestaltung ist auf einfache Art und Weise brillant. Sie erinnert an frühe Filme von Avranas‘ Landsmann Giorgos Lanthimos.
 
Die Räume dieses Films sind eindeutig als Relikte der blühenden schwedischen Sozialdemokratie erkennbar. Wohnungen, Amtsräume, Krankenhaus oder Schwimmbad, … alle Räume wirken hochwertig, sauber und sicher, aber keiner davon gemütlich. In diesen Räumen wirkt der schwedische Staat stellvertretend für unsere Gesellschaft. In hochwertigen, sauberen und sicheren Räumen wird hochwertig, sicher und sauber aber ohne Rücksicht auf die Schicksale der Flüchtlinge gearbeitet. Ein Spiel, dessen Regeln dem Haus einseitige Vorteile gewähren, ist kaum zu gewinnen.
 
Im Fernsehen läuft „Pippi Langstrumpf“, aber nicht die schwedische Version mit Inger Nilsson, sondern die nordamerikanische Zeichentrickversion der 1990er-Jahre. Die Konsequenzen des schwedischen Kurswechsels dieser Zeit hin zu Wirtschaftsliberalismus und Nationalkonservatismus erfahren die Kinder auch hier. Ein bizarrer Versuch, den Kindern durch einen Familienausflug wieder Normalität und Geborgenheit zu vermitteln, wird natürlich in einem alten Volvo unternommen. Auch dieses Fahrzeug ist ein Symbol für ein Schweden, das es so gar nicht mehr gibt.
 
In dieser Leider-Nicht-Mehr-Idylle sind Flüchtlinge immer noch nicht sicher. Sie sind immer noch zunächst Ausgelieferte und Opfer. Der Mann ist das Opfer seiner eigenen Überzeugungen. Aber die Frau ist auch das Opfer der Entscheidungen ihres Mannes. Die Kinder sind sowohl der Willkür des Systems als auch der ihrer Eltern ausgeliefert. Es sind die Schicksale der Kinder, die uns am meisten berühren müssen.
 
01 ©2025 Les Films du Worso SFP02 ©2025 Les Films du Worso SFP03 ©2025 Les Films du Worso SFP04 ©2025 Les Films du Worso SFP
 
Diese Emotionen sind Gift für sie und das Kind
 
Leider funktioniert das Konzept des Films im Verlauf seiner etwas mehr als anderthalb Stunden irgendwann immer weniger. Ein tatsächlich existierendes Syndrom, unter dem viele Kinder weltweit leiden, als Grundlage eines fiktionalen Films zu verwenden, erfordert viel Verantwortungsbewusstsein. Wenn dieser Film dann zur dystopischen Science-Fiction inklusive Verschwörung durch einen manipulativen Staatsapparat gerät, wird er seinem Thema nicht mehr gerecht.
 
Je länger der Film läuft, umso mehr Szenen sehen wir, die uns feststellen lassen: so funktioniert das aber nicht. Nicht nur inhaltliche Ungereimtheiten stören bald den Gesamteindruck. Ist dieser Film noch Dystopie oder sollte das eher schon Satire sein? Als Drama mag er nicht mehr funktionieren. Alexandros Avranas hat sein Drehbuch mit einem Co-Autor, Stavros Pamballis, verfasst. Sicher hätte diesem Drehbuch eine weitere Überarbeitung gut getan.
 
Irgendwann rächt sich auch die stets kühle, distanzierte Inszenierung, weil wir mit den Protagonisten nicht warm werden und kaum Nähe zu ihnen empfinden. Sein neuer Film erreicht nie die deprimierende Kälte und unfreiwillige Komik von Avranas‘ „Dark Crimes“. Aber wer diesen Film und nun „Quiet Life“ gesehen hat, muss sich irgendwann fragen, ob Alexandros Avranas‘ Blick auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest nicht ein bisschen ungesund ist.
 
In diesem Film gelingt es den Schauspielern nicht wirklich, Personen darzustellen. Chulpan Khamatova („Good Bye Lenin!“) wird als Mutter noch am ehesten für uns greifbar. Aber Grigory Dobrygin bleibt als Vater eher ein Konzept als eine Person. Die beiden Jungdarstellerinnen Naomi Lamp und Mirsolava Pashutina hätten zwei oder drei zusätzliche, gut geschriebene Szenen gebraucht, um das Publikum mit ihnen vertraut werden zu lassen.
 
Kompetente schwedische Darsteller*innen wie Alicia Eriksson („Triangle of Sadness”), Lisa Loven Kongsli (“Wonder Woman”) oder Lena Endre („Kingsman: The Golden Circle“) vermitteln die gruselige Sicherheit eines funktionierenden Systems. Tatsächlich berühren kann uns nur die Darstellung von Avranas‘ Stammschauspielerin Eleni Roussinou.
 
Fazit
 
Am besten doch noch mal den ersten Teil ansehen, bevor es an den zweiten geht. Im Grunde bieten sie sich für ein Double Feature an. Das Erfolgsteam vor und hinter den Kulissen ist wieder da, und der Film so flott erzählt, dass man sich auch gerne noch einen dritten Teil ansehen würde. Nur hoffentlich nicht erst wieder in knapp einem Jahrzehnt.
 
 
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